In der Corona-Krise : Merkel warnt vor wirtschaftlicher Abschottung
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Angela Merkel im Mai in Berlin Bild: EPA
Eine Renationalisierung der Lieferketten würde einen „hohen Preis“ kosten, warnt Merkel nach einem Gespräch mit den Chefs internationaler Wirtschaftsorganisationen. Ob sie persönlich zum G-7-Gipfel nach Amerika reist, ließ sie indes offen.
Kanzlerin Angela Merkel hat vor wirtschaftlicher Abschottung in der Corona-Krise gewarnt. „Die Antwort auf die Pandemie kann mit Sicherheit nicht sein, alle internationalen Lieferketten jetzt zu renationalisieren“, sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch in Berlin. „Dann würden alle einen sehr hohen Preis zahlen.“ Sie äußerte sich nach einer Videokonferenz mit den Vorsitzenden von fünf internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen.
Der Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Roberto Azevêdo, habe auf die Vielzahl aktueller einseitiger Maßnahmen hingewiesen, berichtete Merkel. Besorgniserregend seien insbesondere Exportbeschränkungen bei Lebensmitteln. Aus Arbeitslosigkeit werde Armut und daraus sehr schnell Hunger. Die Versorgung der Menschheit mit Lebensmitteln sei von entscheidender Bedeutung.
Impfstoff für alle
Der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Guy Ryder, habe unterstrichen, wie wichtig die Schaffung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern sei, sagte Merkel. Wenn es in entwickelten Ländern weniger Konsum gebe, habe dies dort dramatische Auswirkungen. Die Armutsbekämpfung werde deshalb wichtig werden in den kommenden Jahren – zumal es in wirtschaftlich schwächeren Ländern an finanziellen Möglichkeiten für große Konjunkturprogramme fehle. „Das heißt für Deutschland: keine Entwicklungshilfe kürzen, sondern weiter investieren.“
Merkel unterstrich die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit von Staaten. „Der Multilateralismus stand schon vor der Pandemie vor einer großen Herausforderung, und diese Herausforderung ist nicht kleiner geworden.“ Die Corona-Pandemie sei erst beendet, wenn es einen Impfstoff gegen das Virus oder gute Behandlungsmöglichkeiten gebe. Diese sollten deshalb als „gemeinschaftliche globale Güter“ verstanden werden, müssten also allen zur Verfügung gestellt werden.
Reist Merkel zum G-7-Gipfel nach Amerika?
Merkel hat zudem offen gelassen, ob sie bei einer Einladung von Amerikas Präsident Donald Trump demnächst zu einem G-7-Treffen in die Vereinigten Staaten reisen würde. In welcher Form auch immer dieses Treffen stattfinde, „ob als Videokonferenz oder anders, ich werde auf jeden Fall für den Multilateralismus kämpfen. Das ist ganz klar. Sowohl bei G 7 als auch bei G20“, sagte Merkel am Mittwoch auf eine Journalistenfrage in Berlin. Trump erwägt, den diesjährigen G-7-Gipfel trotz der Corona-Krise nun doch als reales Treffen und nicht per Videokonferenz abzuhalten.
Auf die Nachfrage, ob sie bei einer Einladung Trumps zu einem Treffen der G 7 nach Amerika reisen würde, entgegnete Merkel: „Ich wollte das sagen, was ich gesagt habe. Das Weitere warten wir einfach mal ab. Ich habe meine Worte mit Bedacht gewählt.“
Trump hatte zuvor auf Twitter geschrieben, da sich das Land von der Corona-Krise erhole, denke er darüber nach, die Zusammenkunft am ursprünglich geplanten Termin oder an einem „ähnlichen Datum“ in Camp David, dem Landsitz des amerikanischen Präsidenten, zu veranstalten. Dies wäre ein großartiges Signal der Normalisierung, schrieb er. Die anderen Länder starteten auch bereits ihr Comeback.
Die amerikanische Regierung hatte das für Mitte Juni in den Vereinigten Staaten geplante Gipfeltreffen der sieben führenden Wirtschaftsnationen im März wegen der Coronavirus-Pandemie abgesagt und stattdessen eine Videokonferenz angesetzt. Der Gipfel hätte ursprünglichen vom 10. bis 12. Juni in Camp David stattfinden sollen. Trump ist 2020 Gastgeber des G-7-Gipfels und konnte damit den Ort auswählen. Zur „Gruppe der Sieben“ gehören neben den Vereinigten Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan.
Trump versucht seit Wochen, in die Corona-Pandemie Zuversicht zu versprühen, und stellt seit längerem eine schnelle Erholung des Landes von der Krise in Aussicht. Die Vereinigten Staaten sind von der Corona-Pandemie schwer getroffen – in absoluten Zahlen sogar weltweit am stärksten, mit mehr als 1,5 Millionen bekannten Infektionen und mehr als 92.000 Toten.
Keine Rückkehr zur Normalität
Infolge der rasanten Ausbreitung des Pandemie hatten die meisten amerikanischen Bundesstaaten strikte Ausgangsbeschränkungen verhängt. Das öffentliche Leben kam so in weiten Teilen zum Erliegen und stürzte die Wirtschaft des Landes in eine schwere Krise. Inzwischen haben die amerikanischen Bundesstaaten diverse Lockerungen der Corona-Beschränkungen auf den Weg gebracht. Fachleuten zufolge ist die Krise in den Vereinigten Staaten aber keineswegs überstanden. Auch europäische Länder sind trotz erster Lockerungen noch weit von einer kompletten Rückkehr zur Normalität entfernt.
Bislang gelten außerdem strenge Reisebeschränkungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa, was zusätzliche Fragen zur Machbarkeit eines baldigen persönlichen Gipfeltreffens aufwirft. Angesichts der schwerwiegenden Auswirkungen der Pandemie in mehreren europäischen Staaten hatte Trump Mitte März einen Einreisestopp für Ausländer aus dem Schengenraum, Großbritannien und Irland verhängt. Die Europäische Union hatte Mitte März ihrerseits ebenfalls Einreisebeschränkungen für Bürger der allermeisten Nicht-EU-Staaten eingeführt, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen.
Ohnehin sind Gipfeltreffen wie der G 7 ein gewaltiger logistischer Kraftakt. Ob es möglich wäre, in so kurzer Zeit nun doch eine persönliche Zusammenkunft großer Delegationen aus den G-7-Staaten auf die Beine zu stellen, ist fraglich.