Räumung von Lützerath : Zwei Aktivisten harren im Tunnel aus
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Polizeikräfte während des Einsatzes in Lützerath am Sonntag auf einer Hebebühne Bild: dpa
Bis auf zwei Aktivisten, die sich in einem Tunnel aufhalten, hat die Polizei die Räumung von Lützerath oberirdisch abgeschlossen. Die Demonstranten erheben nach den Protesten am Samstag schwere Vorwürfe gegen die Polizei.
Auch vier Tage nach Beginn der Räumung von Lützerath harren zwei Klimaaktivisten noch in einem unterirdischen Tunnel aus. Wie lange es dauern werde, sie dort rauszuholen, sei völlig unklar, sagte am Sonntag ein Sprecher des Energiekonzerns RWE, dessen Werkfeuerwehr die als „Rettung“ bezeichnete Aktion übernommen hat.
Die Feuerwehr kontrolliere an dem Schacht regelmäßig ein Belüftungsgerät. Eine Sprecherin der Aktivistengruppe „Lützerath lebt“ sagte am Sonntag, der Zustand der beiden Aktivisten sei stabil.
Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach war am Freitag selbst in den Schacht hineingestiegen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. „Es ist ein Kellergewölbe, aus dem ein Schacht von vier Metern geht, dann eine Konstruktion in der Waagerechten“, sagte er anschließend. Er sei aber nicht ganz unten im Schacht gewesen, sondern nur oben, wo es noch halbwegs gefahrlos möglich sei.
„Die Konstruktion ist nicht sicher“, war sein Eindruck. „Das, was wir gesehen haben für Zug- und Abluft, ist nicht geeignet, dort dauerhaft Sauerstoffversorgung zu gewährleisten, dass der CO2-Gehalt nicht zu sehr ansteigt.“ Die Feuerwehr übernehme aber ständig Messungen.
Aktivisten im Tunnel sollen zuvor Video live gestellt haben
Am Donnerstag hatte ein auf der Plattform Youtube eingestelltes Video zweier vermummter Männer Aufsehen erregt. „Pinky“ und „Brain“ geben darin an, sich in dem Tunnel unter Lützerath aufzuhalten. Ein Polizeisprecher sagte, man habe Hinweise, dass das Video authentisch sei.
Der Tunnel sei eine sehr effektive Verteidigungsform gegen eine Räumung, sagte „Pinky“ in dem Video. „Das Sinnvolle daran ist halt, dass es viel schwieriger ist, einen Tunnel zu räumen als jetzt ein Baumhaus, weil erstens man weiß halt nicht genau, wo die Menschen sich befinden. Die Polizei an der Oberfläche weiß nicht, wo die Menschen im Tunnel drin sind. Und außerdem werden halt die ganzen Gänge mit Türen verbarrikadiert und so. Das heißt, einfach reinkommen, das geht viel schwieriger.“
„Brain“ ergänzte, es gehe darum, die Räumung so lange hinauszuzögern, dass andere Aktivisten oben noch Unterstützer mobilisieren könnten, so dass die Räumung vielleicht noch gestoppt werden könne. „Dafür braucht es einfach viel Zeit, und die hoffen wir mit diesem Projekt ein bisschen zu gewinnen.“
Oberirdische Räumung abgeschlossen
Am Sonntagnachmittag hatte die Polizei nach eigenen Angaben in Lützerath alle noch verbliebenen Aktivisten aus Baumhäusern und von Bäumen heruntergeholt. „Es sind jetzt nur noch die beiden im Tunnel übrig“, sagte ein Polizeisprecher. Die Räumung des Dorfes Lützerath hatte am Mittwoch begonnen. Klimaaktivisten hatten das verlassene Dorf besetzt, um einen Abriss und das anschließend geplante Abbaggern der darunter liegenden Kohle zu verhindern.
Im Zuge der Räumung sind nach Angaben der Polizei vom Sonntag insgesamt mehr als 70 Polizisten verletzt worden. Die meisten davon seien am Samstag bei den Protestaktionen der Kohle-Gegner verletzt worden, sagte ein Polizeisprecher. Die Verletzungen gingen aber nur zum Teil auf Gewalt durch Demonstranten zurück. Teilweise seien die Beamten zum Beispiel auch im schlammigen Boden umgeknickt. Auch Demonstranten seien verletzt worden. Wie viele es seien, wisse man nicht. Seit Beginn der Räumung seien etwa 150 Strafverfahren etwa wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, Körperverletzung und Landfriedensbruchs eingeleitet worden.
Eine Sprecherin der Aktivistengruppe „Lützerath lebt“ erhob am Sonntag schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Bei der Demo am Samstag habe es „ein unglaubliches Maß an Polizeigewalt“ gegeben, sagte sie. Es sei „ein Wunder, dass es hier noch keine Toten gegeben hat.“ Eine Sprecherin des Sanitäterdienstes der Demonstranten sprach von einer „hohen zweistelligen bis dreistelligen Zahl“ verletzter Teilnehmer. Darunter seien viele schwerverletzte und einige lebensgefährlich verletzte Personen gewesen. Die Verletzungen seien teils durch Pfeffersprays, Schlagstock- und Faustangriffe der Polizisten zustande gekommen. Dabei habe es besonders viele Kopfverletzungen gegeben. „Die Polizei hat also nicht nur in Einzelfällen, sondern systematisch auf den Kopf von Aktivistinnen und Aktivisten geschlagen“, sagte die Sprecherin.
Von lebensgefährlich Verletzten ist der Polizei nach eigenen Angaben nichts bekannt. Ein Demonstrationsteilnehmer sei am Samstag bewusstlos geworden, sagte ein Sprecher der Polizei. Diese Person sei sofort versorgt und dann in einem Rettungswagen abtransportiert worden. Schon in dem Wagen habe sich herausgestellt, dass keine Lebensgefahr bestehe. Insgesamt wisse die Polizei von zehn Fahrten von Rettungswagen im Zusammenhang mit verletzten Demonstranten. Die Polizei könne auch nicht bestätigen, dass es einen Rettungshubschrauber-Einsatz gegeben habe.
Das Dorf Lützerath, ein Ortsteil von Erkelenz westlich von Köln, ist seit Tagen von der Polizei abgeriegelt und mit einem doppelten Zaun umgeben. Die wenigen Gebäude der Siedlung werden abgerissen, um es dem Energiekonzern RWE zu ermöglichen, die darunter liegende Braunkohle abzubaggern. Dagegen hatten am Samstag viele Tausend Menschen im benachbarten Ortsteil Keyenberg demonstriert. Die Polizei sprach von 15.000 Teilnehmern, die Veranstalter schätzten die Zahl auf 35.000. Am Rand der Demonstration kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.