Loveparade-Unglück : „Das ist ein Justizskandal“
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Das Areal der Loveparade 2010 in Duisburg nach der Katastrophe Bild: AP
Das Landgericht Duisburg lässt die Anklage zur Katastrophe bei der Loveparade 2010 nicht zur Hauptverhandlung zu. Opferanwalt Julius Reiter kritisiert den Beschluss heftig.
Julius Reiter wägt seine Worte sorgfältig ab. Für den Umstand, dass es nun doch nicht zu einem Strafverfahren wegen der Katastrophe bei der Loveparade 2010 in Duisburg kommen soll, fallen ihm allerdings nur überaus starke Worten ein: „Das ist ein Justizskandal“, sagt Reiter im Gespräch mit FAZ.NET. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt, der zusammen mit Gerhart Baum mehr als 100 Opfer und Hinterbliebene der Loveparade-Katastrophe vertritt, hat am Dienstagmorgen den Beschluss des Landgerichts Duisburg bekommen. Auf 460 Seiten begründet das Gericht, warum es die Anfang 2014 von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalterunternehmens Lopavent nicht zur Hauptverhandlung annimmt.
Ein Gericht ist verpflichtet, in einem Zwischenverfahren zu prüfen, ob ein Prozess mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung der Angeschuldigten führen könnte. Nur dann darf es eine Hauptverhandlung überhaupt eröffnen. Im Fall Loveparade ist das Landgericht Duisburg nun zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Vorwürfe aus der vom der Anklagebehörde in jahrelanger Arbeit zusammengetragenen mehr als 46.000 Seiten und den vorgelegten Beweismitteln gegen die zehn Beschuldigten nicht beweisen lassen. Das zentrale Beweismittel – ein Gutachten des britischen Massen-Forschers G. Keith Still - ist nach Einschätzung des Gerichts schlicht „nicht verwertbar“.
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Still kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Loveparade-Katastrophe, bei der auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs im Sommer 2010 21 junge Leute im Gedränge auf der Zu- und Abgangsrampe ums Leben kamen, keine Verkettung unglücklicher Umstände war, sondern unter den gegebenen Planungs- und Genehmigungsbedingungen unausweichlich war. Davon ist auch Opferanwalt Reiter überzeugt. „Es ist deshalb eine Bankrotterklärung der Justiz, dass es bei 21 Toten und mehreren hundert Verletzten nicht zu einem Prozess kommt“, sagt Reiter. „Gerade auf der Grundlage des Gutachtens müsste es zwingend zum Prozess kommen. Allen Verantwortlichen muss klar gewesen sein, dass man so eine große Besuchermasse nicht durch ein so enges Nadelöhr wie diese Rampe führen kann, ohne dass Leute dabei zerquetscht werden“, sagt Reiter. „Hier geht es nicht um einen tragischen Unfall, hier geht es um organisierte Verantwortungslosigkeit.“
Doch das Landgericht kommt zu dem Ergebnis, dass das Gutachten an „gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln“ leide. Diese Einschätzung ist nicht überraschend. Wegen unzähliger Schludrigkeiten in Stills Gutachten hatte das Landgericht dem britischen Massen-Forscher schon im Februar 2015 einen in 15 Themenkomplexe untergliederten Katalog mit mehr als 70 Einzelfragen zukommen lassen. Bei der Lektüre dieses Fragenkatalogs konnte man den Eindruck gewinnen, dass es nichts mehr wird mit dem großen Loveparade-Strafprozess. Und offensichtlich ist es dann weder Still noch der Duisburger Staatsanwaltschaft gelungen, die Anklage nachzubessern.