Christian Lindners Wutrede : Schutzherr der Gründungswilligen?
- -Aktualisiert am
Ein Rhetoriker bei der Arbeit: FDP-Bundesvorsitzender Christian Lindner. Bild: dpa
Mit einem Wutausbruch verteidigt Christian Lindner den Unternehmergeist und wird zum Internet-Star – doch die Sache hat mehrere Haken.
Mit beinahe vierzehn Jahren Verspätung hat es Christian Lindner nun doch noch zu einem Internet-Erfolg gebracht. Ein Parlamentsvideo, in dem der FDP-Bundesvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag einen SPD-Hinterbänkler genüsslich für Zwischenrufe abwatscht und sich als liberale Schutzmacht für alle Risikobereiten und Gründungswilligen inszeniert, ist im Netz derzeit der Renner. Schon glauben erstaunte Kommentatoren an ein virales Wiederauferstehungs-Wunder: Lindner habe die eben noch ums Überleben kämpfende FDP im Alleingang am Rednerpult des nordrhein-westfälischen Landtags gerettet. Dank des Internet-Videos werde die FDP am Sonntag in Hamburg die Fünf-Prozent-Hürde locker nehmen und damit auch als Gesamtpartei die Wende schaffen.
Eine ironische Wendung ist der späte Internet-Erfolg des FDP-Bundesvorsitzenden ohne Zweifel. Denn der eigentliche Anlass für Lindners beherzte Gegenattacke war ein unschöner Internet-Misserfolg. Im Frühjahr des Jahres 2000, als nicht nur Glücksritter ihre Hoffnungen auf die New Economy setzten, gründete der 21 Jahre alte Lindner mit zwei Freunden das Internet-Unternehmen „Moomax“. Schon im April 2001 schied Lindner aus der Geschäftsführung aus. Wenig später ging „Moomax“ pleite. Öffentliche KfW-Mittel in Höhe von mehr als einer Millionen Euro, die über einen privaten Risikokapitalgeber in des Unternehmen geflossen waren, waren dahin. Für seine Gründer war „Moomax“ dank der freundlichen Unterstützung des Steuerzahlers ein erstaunlich risikoarmes Risiko.
FDP-Chef keilt aus : Lindners Wutrede wird zum Internet-Hit
„Moomax“-Pleite klebt wie Pech an Lindner
Christian Lindner hat viele Erfahrungen sehr früh in seinem Leben gemacht. Noch als Schüler gründete er eine Werbeagentur, mit der er sieben Jahre lang „persönlich haftend und erfolgreich“ tätig war, wie er sagt. Seine Karriere als Parlamentarier begann er vor mittlerweile 15 Jahren: Als die FDP mit Jürgen Möllemann im Mai 2000 den Wiedereinzug in den nordrhein-westfälischen Landtag schaffte, war Lindner der jüngste Parlamentarier. Auf das nur wenige Tage später gegründete „Moomax“ war Lindner so gesehen gar nicht angewiesen, er konnte die Politik zu seinem Beruf machen. Als Lindner in der FDP aufstieg, wurde er immer mal wieder mit der „Moomax“-Pleite konfrontiert. Sie klebt wie Pech an ihm. Ende Januar konnte man im Landtag beobachten, wie sehr ihn das nervt und wurmt.
Am 29. Januar gab Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) im Landtag eine Regierungserklärung zum Thema Digitalisierung ab. Armin Laschet (CDU), der immer mehr in seine Rolle als nordrhein-westfälischer Oppositionsführer hineinfindet, hatte keine Mühe, Krafts unstrukturierte Rede auseinanderzunehmen. Lindner, der lange als heimlicher Wortführer der Opposition galt, war dagegen an jenem Donnerstag Ende Januar nicht in Top-Form – bis ihm der sozialdemokratische Abgeordnete Volker Münchow mehrfach ins Wort fiel. Dabei hatte Lindner gerade ausdrücklich die Ministerpräsidentin gelobt. In Amerika gelte jemand, der mit einem Unternehmen scheitere, als jemand, der Erfahrungen gesammelt habe, die er zielführend für die neue Gründung einsetzen kann, hatte die Sozialdemokratin gesagt. „Bei uns gilt er als gescheitert und erhält kaum noch eine Chance. Diese Mentalität müssen wir ändern.“ Lindner fand das „sympathisch“, denn eine Gründungskultur sei die Hefe im Teig der Volkswirtschaft. Sie sichere den individuellen Aufstieg und schaffe Arbeitsplätze. „Sie kennen sich damit aus?“, rief SPD-Mann Münchow zunächst dazwischen. Noch einmal spielte Münchow auf „Moomax“ an: „Damit haben Sie ja Erfahrung!“, rief er.
Dann erst erkannte Lindner seine einmalige Chance, die SPD als Partei der Gründerfeinde zu brandmarken und nebenbei eine unschöne Scharte in seiner Berufsbiografie umzudeuten. „Haben Sie nicht gehört, was die Ministerpräsidentin gesagt hat?“ Wenn man Erfolg habe, gerate man „in das Visier der sozialdemokratischen Umverteiler, und wenn man scheitert, ist man sich Spott und Häme sicher“, schleuderte Lindner dem SPD-Mann entgegen. Das sei der Grund dafür, „warum die Menschen heute lieber in den öffentlichen Dienst gehen – da haben Sie ja auch gearbeitet“. Hunderttausendfach ist Lindners Rede mittlerweile im Netz angeklickt worden. Viele Zeitungen feierten Lindner für seine Stegreifabrechnung. Der FDP-Vorsitzende wird in Interviews noch immer auf seinen Auftritt angesprochen. Es könnte nicht besser für ihn laufen. Längst geht es nur noch um Lindners Image als Retter der Risikobereiten, nicht mehr um Fakten. Das hat auch damit zu tun, dass der mittlerweile im Netz ebenso gnadenlos verbal verprügelte Münchow lieber nichts mehr zu der Sache sagen will. Dabei hätte er durchaus Argumente zu seiner Verteidigung. Anders als von Lindner behauptet, hat Münchow nie im öffentlichen Dienst gearbeitet. Der Kaufmann und Wirtschaftswissenschaftler war vielmehr eine Zeit lang Vertriebsleiter eines norwegischen Unternehmens in Deutschland. Lindner dagegen bezieht seit seinem 21. Lebensjahr Parlamentsdiäten.
Eine sehr merkwürdige Pioniertat
Zudem lag es nahe, Lindner in einer Debatte zur Digitalisierung mit „Moomax“ zu behelligen. Schon im Mai 2012 hatte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung den Fall intensiv durchleuchtet und dargelegt, dass es sich bei „Moomax“ um eine sehr merkwürdige Pioniertat handelte. Geschäftszweck war laut Handelsregister „die Entwicklung und das Design komplexer Software-Lösungen, insbesondere für die mobile Kommunikation“. Avatare, virtuelle Personen, sollten Kunden helfen, sich auf Websites eines Unternehmens zurechtzufinden. Einziges Vorzeigeobjekt blieb eine Päpstin, die dem Papst die Show stehlen sollte. „Eine seltsame Idee – für die es überhaupt keine Kunden gab“, schrieb die FAS damals.
Doch auch aus der SPD ist niemand Münchow beigesprungen. Völlig ungestört konnte Lindner sein Internet-Abenteuer unter Berufung auf die Regierungserklärung der Ministerpräsidentin zur Pioniertat umdeuten. Unwidersprochen konnte Lindner Krafts Worte ganz im eigenen Sinn interpretieren: Man solle auch das Scheitern von Pionieren nicht ein Leben lang biografisch als Stigma verwenden.