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F.A.Z. exklusiv : Bundeswehr bestellt Ukraine-Material kaum nach

Munition für eine Panzerhaubitze, aufgenommen am 17. Oktober 2022 auf dem Truppenübungsplatz in Ostenholz. Bild: AFP

Vertrauliche Unterlagen aus dem Finanzministerium zeigen: Die meisten Bestände der Bundeswehr, die an die Ukraine geliefert wurden, blieben unersetzt, obwohl Geld dafür bereitstand.

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          Das Verteidigungsministerium hat im ersten Kriegsjahr kaum Rüstungsgüter nachbestellt. Die meisten Bestände der Bundeswehr, die an die Verteidiger geliefert wurden, blieben unersetzt, obwohl dafür Haushaltsmittel bereitstanden. Während sich die unmittelbaren Abgaben aus den Depots der deutschen Streitkräfte auf einen Wert von mehr als einer Milliarde Euro summieren, liegen die Nachbestellungen bei knapp 50 Millionen Euro. Sie wurden unter anderem für Austauschteile für die Panzerhaubitze 2000 und einige Dutzend Lastwagen ausgegeben. Das geht aus vertraulichen Unterlagen des Finanzministeriums hervor, die der F.A.Z. vorliegen.

          Peter Carstens
          Politischer Korrespondent in Berlin

          Das Verteidigungsministerium und die Beschaffungsbürokratie haben es unter der SPD-Politikerin Christine Lambrecht offenbar weitgehend versäumt, zu den rund 50 Bestellposten überhaupt Anfragen zur Refinanzierung aus Haushaltsmitteln des Finanzministeriums zu beantragen. Wie aus den vorgelegten Listen ersichtlich ist, geht es etwa um 14 Panzerhaubitzen, 40 Schützenpanzer, fünf Mehrfachraketenwerfer und Flugabwehrsysteme. Dazu aus der großen Materialmenge etwa 28.000 Gefechtshelme, 18.500 Schuss Artilleriemunition, mehr als 20 Millionen Schuss Handwaffenmunition, mehrere Hundert Schwerlastsattelzüge, Wechsellader, Brückenlegesysteme, Dutzende Paletten Sanitätsmaterial oder Spezialfahrzeuge zur Dekontaminierung und größere Bestände an Artilleriemunition.

          Pistorius will schnell mit der Industrie reden

          Möglich wären Nachbestellungen aus einem Sonderposten des Etats für die Ertüchtigungsausgaben im Sicherheitsbereich gewesen. Der Etat dafür war eigens wegen des Kriegs auf rund zwei Milliarden erhöht worden. Anders als die Bundeswehrverwaltung hatte die wehrtechnische Industrie Rüstungsgüter im Wert von etwa 1,6 Milliarden in direkten Vertragsbeziehungen zu Kiew finanzieren können. Wie es aussieht, liegt die Nichtbestellung einerseits am mangelnden politischen Willen des SPD-geführten Hauses, andererseits an einer Wehrbürokratie, die die frühere Verteidigungsministerin Lambrecht in ihrer Amtszeit nicht reformiert hatte.

          Mit der Abgabe von Leopard-2-Panzern aus Bataillonsbeständen der Bundeswehr stellt sich nun für Lambrechts Nachfolger Boris Pistorius die Frage der Nachbestellung mit noch größerer Dringlichkeit, denn damit werden die wenigen überhaupt einsatzbereiten Kampfbataillone des Heeres wesentlich geschwächt. Ausgaben für Nachbestellungen der Kiew zugesagten und gelieferten Rüstungsgüter müssten einerseits aus dem Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) finanziert werden oder aus dem stark gestiegenen Haushaltstitel „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“, in dem voriges Jahr zwei Milliarden bereitstanden und dieses Jahr 2,2 Milliarden Euro bereitliegen, das meiste für die Ukraine. Deutschland kann seinerseits Lieferungen an Kiew über die EU refinanzieren, bei der sogenannten European Peace Facility.

          Bei den Haushältern im Bundestag vermisst man schon seit Längerem konsequente Nachbestellungen des gelieferten Materials und Angaben des Ministeriums dazu. Die Haushälter – auch jene der Regierungskoalition – hatten daher bei der Festlegung des Haushalts 2023 regelmäßige und detaillierte Angaben zu den Nachbestellungen eingefordert, wohl wegen des Verdachts, dass wenig bis nichts geschehen sei. Ein Verdacht, der sich mit den nun vorgelegten Übersichten aus dem Finanzministerium bestätigt. Zu den wenigen Dingen, bei denen eine Nachbestellung beim Finanzministerium beantragt wurde, gehörten die Gefechtshelme.

          Lambrechts Nachfolger Pistorius hatte angekündigt, innerhalb kürzester Zeit mit der Industrie – hier vor allem den Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall – über Nachbestellungen des Leopard 2 sprechen zu wollen. Abgesehen von der Finanzierung geht es dabei vor allem um Produktionskapazitäten. Denn Nachbestellungen dauerten bereits vor dem Krieg mehrere Jahre. Wenn allerdings nicht einmal die Finanzierung geklärt wird, kann noch nicht einmal bestellt werden. Die Industrie hatte bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Abwicklung ihrer Verträge mit Kiew, die ohne Einbeziehung der Bundeswehr-Rüstungsbürokratie erfolgte, relativ rasch und problemlos erfolge. Die nun vorgelegten Zahlen bestätigen diesen Befund.

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