Aktionsplan des Außenamts : Die Lage in Afghanistan wird kritischer
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Ein Mann sammelt im afghanischen Herat am 22. November Aluminium- und Plastikreste. Bild: AP
Diplomaten warnen vor der „größten humanitären Katastrophe unserer Zeit“. Außenministerin Annalena Baerbock will die Situation in Afghanistan mit einem Aktionsplan verbessern.
Wenige Tage nach der Veröffentlichung eines Aktionsplans des Auswärtigen Amts zur Hilfe für die Bedrängten in Afghanistan hat sich die Lage dort zunächst weiter verdüstert. Nach amerikanischen Meldungen ist die einzige Möglichkeit, auf dem Luftweg Afghanistan zu verlassen, momentan unterbrochen. Neben den winterlichen Witterungsbedingungen ist daran offenbar die Forderung der Taliban schuld, auf den von Qatar Airways bereitgestellten Charterflügen auch einige ihrer Kämpfer zu transportieren.
Die staatliche Fluggesellschaft des Emirats Qatar stellt seit dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung und der Machtübernahme der Taliban im August eine Flugverbindung in die qatarische Hauptstadt Doha sicher, wo sich auch das Auslandsbüro der Taliban befindet. Über diese Flüge, die von westlichen Nationen gechartert werden konnten, wurden seither besonders gefährdete Afghanen ins Ausland gebracht.
Zwei Stäbe arbeiten an Ausreisen
Auf Flügen, die von deutschen Stellen gechartert wurden, sind laut Auswärtigem Amt bislang 674 Passagiere aus Kabul ausgeflogen worden. Insgesamt sei bislang rund 10.000 Menschen die Ausreise nach Deutschland gelungen. Rund die Hälfte davon sei mittels der Bundeswehr-Luftbrücke im Sommer ausgereist, die andere Hälfte habe Afghanistan über Doha oder über das pakistanische Islamabad verlassen. Im Auswärtigen Amt arbeiten weiterhin zwei Stäbe an der Organisation dieser Ausreisen auf dem Luftweg nach Doha oder auf dem Landweg nach Pakistan.
Im Aktionsplan heißt es auch: „Aber über 15.000 Menschen, denen wir fest zugesagt haben, sie bei uns aufzunehmen, sind weiterhin in Afghanistan.“ Unter ihnen befänden sich auch 135 deutsche Staatsangehörige. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beteuerte, man arbeite mit Hochdruck daran, sie in Sicherheit zu bringen.
Das zweite Hauptaugenmerk des Auswärtigen Amts liegt auf der humanitären Hilfe für die Bevölkerung in Afghanistan. Hilfsgelder für Schutz und Nahrung dürften möglichst nicht in die Hände der Taliban gelangen oder nach ihren Weisungen verteilt werden. Einige internationale Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sind weiterhin in Afghanistan tätig und können direkt mit Hilfsgeldern unterstützt werden.
Deutschland ist größter humanitärer Geber
In der Einschätzung der deutschen Diplomaten heißt es, Afghanistan „steuert vor unseren Augen in die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“. Es gebe Meldungen, dass Familien ihre Töchter verkauften, um Nahrungsmittel zu erhalten. 24 Millionen Afghanen, mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung von rund 40 Millionen, würden im Winter humanitäre Hilfe zum Überleben benötigen.
Schon jetzt sei Deutschland mit ausgehändigten Hilfen in Höhe von 600 Millionen Euro der größte humanitäre Geber für Afghanistan. Da der Bundestag den Etat für 2022 erst noch beraten und verabschieden muss, will Baerbock nach eigenen Angaben von den Haushaltspolitikern im Bundestag rasche Zusagen, dass die Hilfe im nächsten Jahr fortgesetzt werden kann. Die Mittel unterstützen unter anderem den Flugdienst der UN, um Hilfe in entlegene Gegenden Afghanistans zu bringen, oder die Johanniter-Unfallhilfe, die in Kabul mobile Krankenhäuser betreibt.
Um humanitäre Hilfe besser koordinieren, Ausreisewillige gezielter unterstützen und ein genaueres Bild der Lage gewinnen zu können, strebt das Auswärtige Amt weiterhin eine eigene Präsenz in Kabul an. Dies soll jedoch keinesfalls als Anerkennung des Taliban-Regimes gewertet werden können und „in enger Abstimmung mit unseren europäischen und internationalen Partnern“ geschehen. Vorerst ist noch offen, ob als erster Schritt eine Repräsentanz der Europäischen Union etabliert werden soll oder ob einzelne Nationen eigenes Personal nach Kabul schicken, das dann möglicherweise in einem gemeinsamen Gebäude unterkommen könnte.