Kühnert auf „NoGroKo“-Tour : „Da bist du Rentner, bevor die SPD je wieder regiert!“
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Kevin Kühnert vor der Jusos-Fahne auf dem Podium in Leipzig. Bild: dpa
Er agitiert nicht, brüllt nicht – und flippt nicht aus: Juso-Chef Kevin Kühnert startet seine „NoGroKo“-Tour. Nach den Chaos-Tagen in der SPD erntet er dort viel Beifall. Doch manche erinnern sich an die Zeit nach dem Sturz von Helmut Schmidt.
Nach knapp einer Stunde reicht es Katja Pähle dermaßen, dass sie zum ersten und einzigen Mal richtig laut wird. „Es ist ein Koalitionsvertrag!“, stöhnt die SPD-Fraktionsvorsitzende aus Sachsen-Anhalt in den Saal. „Na klar ist das kein SPD-Programm, sondern ein Kompromiss, über den wir abstimmen!“ In den Minuten davor waren Vorwürfe aus dem Publikum auf die SPD nur so eingeprasselt zu einem eher flüchtlingsfeindlichen Vertrag, zur Agenda 2010, zu Hartz IV und zu Rüstungsexporten; Vorwürfe aus einem überwiegend aus SPD-Mitgliedern bestehenden Publikum, wenn auch vom eher sehr linken Flügel. Das ist auch dem Ort geschuldet, denn der Auftakt der „NoGroKo“-Tour des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert ist in Leipzig, genauer in der Südvorstadt an der Grenze zum Stadtteil Connewitz, dem wohl linksten Viertel, das Sachsen zu bieten hat.
Gut 200 Leute, ein Drittel Ältere, zwei Drittel Jüngere sind in eine Galerie gekommen, und weil der Platz längst nicht ausreicht, wird die Veranstaltung auch live in einen Nachbarraum für weitere 100 Interessierte übertragen. Die Einrichtung ist denkbar spartanisch, ein Glastisch, drei Stühle und an der Wand eine rote Juso-Fahne; sie hängt wie als Symbol für den Zustand der Partei weder mittig noch gerade, aber es kommt ja nicht auf Äußerlichkeiten, sondern auf den Inhalt an, wie Kevin Kühnert immer wieder an diesem Abend betonen wird.
Er agitiert nicht, er brüllt nicht und er flippt nicht aus
Die Leipziger begrüßen ihn mit frenetischem Applaus, doch das ist ihm eher peinlich: In Jeans, Pullover, Sneakers und Rucksack sieht er wie ein Student aus dem Publikum und nicht wie der Haupt-Akteur des Abends aus. Kühnert ist erst 28 Jahre jung, aber er hat so gar nichts Rebellisches an sich, obwohl ihn die Moderatorin als „Galionsfigur des Widerstands“ vorstellt. „Es ist an uns, ob wir die Partei in diese Große Koalition schicken“, macht sie gleich zu Beginn die Bedeutung des Abends klar, und damit das hier keine einseitige Sache wird, ist Katja Pähle als Befürworterin der Koalition mit auf dem Podium.
Wer von Kühnert jetzt ein flammendes Plädoyer gegen die „GroKo“ erwartet hatte, liegt allerdings falsch. Er agitiert nicht, er brüllt nicht, und er flippt nicht ein einziges Mal aus in den knapp zwei Stunden, sondern spricht ruhig, überlegt und sachlich. Er werfe den Verhandlern seiner Partei überhaupt nicht vor, nicht das Beste herausgeholt zu haben, sagt er. „Darum geht es gar nicht.“ Das Problem sei vielmehr, dass am Ende „mit dieser Union“ eben vieles gar nicht umgesetzt werde. Schon der Koalitionsvertrag 2013 habe eine sozialdemokratische Handschrift gehabt, aber am Ende seien viele SPD-Vorhaben liegen geblieben, wie etwa die Solidarrente, die Leuten mit geringem Verdienst, aber vielen Arbeitsjahren eine um zehn Prozent bessere Rente sichern sollte. Im neuen Vertrag tauche das Thema nun als „Grundrente“ wieder auf, sagt Kühnert. Diesmal sei es aber nicht als Anspruch für alle Geringverdiener, sondern nur für Bedürftige gedacht; die Grundrente solle also nur bekommen, wer sich vorher“ auf dem Amt nackig“ macht, und das könne er nicht gutheißen.
Kühnert bestreitet dennoch nicht die vielen gerade aus SPD-Sicht positiven Ergebnisse des Koalitionsvertrages, aber er frage sich angesichts der bisherigen Erfahrungen, wie verlässlich diese denn seien. „Die Aussicht, wieder wortbrüchig zu werden, macht mir Angst“, sagt er. Deshalb sei er bereit, „so schmerzlich es ist, auf die positiven Dinge zu verzichten“. Dabei verweist er auch auf jüngste Umfragen, nach denen Union und SPD keine Mehrheit mehr hätten, und die SPD gar auf ein Allzeit-Tief von 17 Prozent fiel. In den Augen der Leute, so Kühnert, sei man doch schon jetzt nicht mehr glaubwürdig. Riesenbeifall im Publikum.