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Krise in der Bundeswehr : Ein Hauch von Rebellion

  • -Aktualisiert am

Zunehmend unter Druck: Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) am Donnerstag bei ihrem Besuch in Illkirch Bild: EPA

Nach der Kritik von der Leyens ist die Stimmung in der Bundeswehr so schlecht wie schon lange nicht mehr. In der Sache geben einige der Ministerin zwar recht. Aber nicht im Ton. Die Offiziere begehren auf.

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          Wenn Soldaten bisher Kritik an der politischen und militärischen Führung übten, dann intern. Nach dem Vorwurf Verteidigungsministerin Ursula von der Leyens, in den Streitkräften herrschten ein „falsch verstandener Korpsgeist“, ein „Haltungsproblem“ und „Führungsschwäche“, äußerten sich nun viele öffentlich. Der Widerspruch ist in seiner Heftigkeit einmalig in der jüngeren Geschichte der Bundeswehr. Mehrere Soldaten beklagten im Gespräch mit der F.A.Z. einen Vertrauensverlust, einige zogen sogar die Legitimation der Ministerin als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt in Zweifel.

          Ein Stabsoffizier der Fallschirmjägertruppe äußerte, organisatorische Veränderungen könnten nur erzielt werden, wenn die „Mannschaft“ hinter der Führung stünde. Nun aber riskiere die Ministerin, dass „sie geringere Gefolgschaft erreicht“. Auch der ehemalige Luftwaffenoffizier Thomas Wassmann, Vorsitzender des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr, übte Kritik. Er vertritt Tausende aktive und pensionierte Soldaten. Die Bundeswehr sei ein Schatten ihrer selbst, so Wassmann, von Regierungen aller Couleur finanziell und materiell heruntergewirtschaftet. Es sei nur der Leistungsbereitschaft der Soldaten zu verdanken, dass die Streitkräfte zumindest die Einsätze noch bewältigen könnten. „Und jetzt beschimpft sie uns? Das kann doch nicht wahr sein!“

          Wassmann sprach von einem Schlag ins Gesicht der vielen Soldaten, die sich in ihrer Dienstzeit nichts zuschulden kommen ließen. In einem gab er von der Leyen indes recht: Ja, die Bundeswehr habe ein Führungsproblem. Das sei aber nichts Neues. „Wir Soldaten fragen uns, wo eigentlich die warnenden Stimmen der Bundeswehrführung vor einer Entwicklung gewesen sind, die der eigenen Organisation den Boden unter den Füßen wegzog.“ Die „Haltung des treuen Erfüllungsdienstes“, in dem die Generalität in den vergangenen Jahren kritische Berichte ganz bewusst unterdrückt habe, habe das Vertrauensverhältnis der Truppe zur politischen und militärischen Führung nachhaltig beschädigt. Führung, sagte Wassmann, beginne ganz oben.

          In der Truppe gärt und brodelt es

          Von der Leyens Kritik trifft eine Truppe, in der es zunehmend gärt und brodelt. Die jahrelange Unterfinanzierung, die schlechte materielle Ausstattung und das wachsende Problem mit schlecht qualifiziertem Nachwuchs haben die Truppe ausgezehrt. Langgediente Soldaten äußern etwa in Umfragen, sie könnten den Dienst nicht empfehlen. Hinzu kommen die aus Sicht vieler Soldaten sinnlosen Einsätze wie in Mali oder Afghanistan, in denen sich mancher schon zum zehnten Mal wiederfindet und noch immer kein Ende abzusehen ist.

          Fall Franco A. : Verteidigungsministerin unter Druck

          Wie angespannt die Stimmung ist, zeigte sich am Mittwoch an der Kaderschmiede der Bundeswehr, der Führungsakademie in Hamburg. Der Kommandeur Carsten Stawitzki hatte das zivile und militärische Akademiepersonal sowie die Teilnehmer der verschiedenen Lehrgänge versammelt, um, wie mehrere Zuhörer unabhängig voneinander berichteten, „die Stimmung im Zusammenhang mit den Äußerungen der Ministerin auszuloten“. Mit diesem „Stimmungsbild“ habe er dann zur Führungskräftekonferenz am Donnerstag fahren wollen, zu der von der Leyen kurzfristig nach Berlin geladen hatte.

          Stawitzki, heißt es, habe von einer Krise der Bundeswehr gesprochen und vom Zusammenhalt aller Soldaten und Mitarbeiter, der nun notwendig sei. Im Plenum saß auch Major Marcel Bohnert, der in dieser Zeitung zuvor die Bundeswehrführung in einem Namensartikel für ihre „ausbleibenden öffentlichen Wortmeldungen“ in Anbetracht „der schwierigen Verfasstheit der Bundeswehr“ kritisiert hatte. Bohnert ist angehender Generalstabsoffizier. Er war seit Jahren der erste Soldat, der sich in dieser Deutlichkeit in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet hat. Seine Tür stehe immer offen, er sei stets erreichbar, soll Stawitzki zu Bohnert gesagt haben. Er, so Stawitzki, hätte sich gewünscht, Bohnert hätte seine Kritik intern geäußert. Für eine Stellungnahme war Stawitzki am Donnerstag nicht zu erreichen.

          Von der Leyen hat viele gegen sich aufgebracht

          Nach der Kritik an der Veröffentlichung sei ein Raunen durch den Saal gegangen, berichten Versammlungsteilnehmer. Mehrere Offiziere seien aufgestanden und hätten unter Nennung von Name und Dienstgrad ihre Unterstützung für Bohnert geäußert. Dieser habe, so ein Offizier, mit seiner Äußerungen „eine Lücke gefüllt, welche die militärische Führung durch ihre Passivität hinterlassen“ habe. Ein anderer soll den Kommandeur gefragt haben, warum sich ein Soldat nicht öffentlich äußern solle. Innere Führung bedeute doch schließlich, dass Soldaten mündige Bürger seien. Daraufhin habe es Applaus gegeben. „Für Bundeswehrverhältnisse war das fast schon eine Art Rebellion.“

          In der Bundeswehr gärt es – und die Hausherrin im Verteidigungsministerin muss sich viele Fragen gefallen lassen
          In der Bundeswehr gärt es – und die Hausherrin im Verteidigungsministerin muss sich viele Fragen gefallen lassen : Bild: EPA

          Selbst Soldaten, die ihr „in der Sache“ zustimmen, hat von der Leyen durch ihre pauschale Kritik gegen sich aufgebracht. Ja, es gebe in einigen Einheiten tatsächlich immer wieder „Verselbständigungstendenzen“, sagte ein Hauptmann der Jägertruppe. Das habe er während seiner Dienstzeit in der Deutsch-Französischen Brigade selbst erlebt. Zu dieser Brigade gehört auch das Bataillon in Illkirch, in dem zuletzt Franco A. stationiert war. So deckten Vorgesetzte „merkwürdige Aufnahmerituale“ oder äußerten Unteroffiziere ihr Unverständnis, wenn von ihnen verlangt werde, Wehrmachtsdevotionalien aus Aufenthaltsräumen zu entfernen. Das Problem, so der Hauptmann, bestehe jedoch darin, dass Vorgesetzte heute in Bürokratie erstickten und durch die Einführung der 41,5-Stunden-Woche kaum noch Zeit zur Dienstaufsicht in den Abendstunden hätten. „Das sollte die Ministerin wissen, bevor sie uns Führungsschwäche vorwirft“, sagte er.

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