AKK im Baltikum : Drüben wird mitgehört
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Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Verteidigungsministerin, bei einer Pressekonferenz in Riga mit ihrem Amtskollegen Artis Pabriks, Verteidigungsminister von Lettland. Bild: dpa
Im Baltikum beobachtet man Amerikas sprunghaften Präsidenten mit wachsender Sorge. Man hofft auf Europa – und wünscht sich mehr Engagement Deutschlands. Der Besuch der Verteidigungsministerin hat aber auch taktische Hintergründe.
Die Kurden gehören ja nicht zur Nato. So jedenfalls tröstet man sich in Estland darüber hinweg, dass der amerikanische Präsident so treulos mit den kurdischen Verbündeten der Vereinigten Staaten in Syrien umgesprungen ist, als er sie kurzerhand der türkischen Armee auslieferte. In Riga, Tallinn und Vilnius, den baltischen Hauptstädten, haben sie genau hingesehen, als die Kampffahrzeuge der Amerikaner vor ein paar Tagen mit flatternden Fahnen an den Antennen die eben noch gemeinsamen Stellungen mit den syrischen Kurden verließen und dann das türkische Artilleriefeuer begann.

Politischer Korrespondent in Berlin
Die drei baltischen Staaten, allesamt Mitglieder der EU und der Nato, machen sich keine Illusionen über die eigene militärische Situation im Schatten der weißrussischen und russischen Grenze. In Moskau betrachtet man die ehemaligen Sowjetrepubliken noch immer als „nahes Ausland“, die dort lebenden großen russischen Minderheiten als Schutzbefohlene.
Im Baltikum fühlt sich die Nato verpflichtet
Es sind weniger die tagtäglichen Übergriffe, Provokationen, hybriden Vorstöße, Cyber-Attacken, die den Balten Sorgen bereiten. Damit können sie umgehen, dagegen haben sich die Gesellschaften in den vergangenen drei Jahrzehnten abgehärtet. Doch die Furcht, dass irgendwann aus irgendeinem unbestimmten Grund Russland auf breiter Front nach Westen vorrückt, begleitet die Politik tagtäglich.
Die Nato hat darauf erst reagiert, als nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und der nachfolgenden Annexion der Krim 2014 in Brüssel der Ernst der Lage begriffen wurde, vor allem aber die eigene Unfähigkeit, dagegen etwas zu unternehmen. Immerhin: Die Ukraine gehörte nicht zur Nato, da war das Nichtstun also eine Option. Im Baltikum ist das anders, dort fühlen sich die Nato und der Westen verpflichtet. Zumindest in der Welt vor Donald Trump. Verlässlichkeit und Stärke ist es, was die Allianz seither dort demonstriert, jedenfalls in bescheidenem Umfang.
Deutschland ist daran beteiligt, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat am Donnerstag und Freitag bei drei Kurzbesuchen in Kaunas, Tallinn und Riga den jeweiligen Regierungschefs und Amtskollegen versichert, dass auf Deutschland Verlass sei. Vor allem in Litauen wurde ihr versichert, dass der deutsche Beitrag zur Sicherheit des Landes durchaus noch über die gegenwärtig rund 550 Bundeswehrsoldaten hinaus steigen könnte. Man denkt da etwa an eine taktische Luftabwehr im mittleren und nahen Bereich. Über die verfügt allerdings auch die Bundeswehr kaum noch. Der Nato-Schutz für die drei Länder besteht derzeit einerseits in Luft-Patrouillen, dem sogenannten Air-Policing, an denen auch die Luftwaffe mit Eurofightern beteiligt ist. Dabei soll darauf geachtet werden, dass die russischen Nachbarn nicht ständig den baltischen Luftraum verletzen. Sie tun es weiterhin, aber nicht mehr so oft, heißt es in Tallinn. Zudem hat die Nato in den drei Ländern und auch in Polen jeweils eine multinationale Kampfgruppe in Bataillonsstärke stationiert.
Bedrohliche Anrufe bei Angehörigen von Soldaten und Soldatinnen
Jeweils ein Nato-Land stellt den Hauptanteil und das organisatorische Rückgrat: die Briten in Estland, die Kanadier in Lettland, die Amerikaner in Polen und die Deutschen in Litauen. Dort sind in einer ehemaligen Sowjetkaserne bei Kaunas derzeit Panzergrenadiere vom Panzergrenadierbataillon 391 aus Bad Salzungen in Thüringen stationiert. Sie werden verstärkt durch einige Leopard-Panzer vom Panzerbataillon 393 aus dem benachbarten Bad Frankenhausen. Hinzu kommen 250 Niederländer, 230 Tschechen, einige Norweger und zwei Soldaten vom Nato-Partner Island. Sie bilden ein verstärktes Bataillon, einen bestens ausgebildeten und ausgestatteten Kampfverband mit rund 1100 Soldaten.
Geübt wird auf drei ehemaligen Übungsplätzen der Sowjets, einer davon ist keine zehn Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt. Wenn dort die Leopard-Panzer über die Schießbahn donnern, wird von der anderen Seite versucht, den Funk zu stören. Die Aufklärung drüben bemüht sich auch, private Telefondaten der Bundeswehrsoldaten zu ergattern. Mehr als einmal, so berichtet ein Sprecher des Kontingents, sei es vorgekommen, dass Familienangehörige daheim in Deutschland Anrufe bekamen, die als bedrohlich empfunden wurden. Stimmen mit starkem osteuropäischen Akzent fragen dann, ob die Familienangehörigen nicht besser aus dem Baltikum nach Hause kommen sollten.