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Neue Parteispitze : Die SPD schafft sich ab

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Leerstück SPD-Mitgliederentscheid: Das unterlegene Kandidaten-Duo Olaf Scholz und Klara Geywitz Bild: dpa

Durch die SPD geht ein Riss. Staatspolitische Verantwortung der Partei ist nicht mehr erkennbar. Es ist ein sensationeller Sieg über Olaf Scholz.

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          Wenn künftig in einer Partei der Gedanke aufkeimen sollte, den Vorsitzenden oder sogar einen Kanzlerkandidaten per Urwahl zu bestimmen, wird garantiert jemand warnend an die SPD aus dem Jahr 2019 erinnern. Die hat gerade versucht, ihren Parteivorsitzenden oder genauer: ihre beiden Parteivorsitzenden durch eine Mitgliederbefragung auszuwählen. Formal ist ihr das gelungen. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans konnten die Abstimmung für sich entscheiden. Es ist ein sensationeller Sieg über Olaf Scholz. Dennoch ist die SPD mit diesem Weg gescheitert.

          Die Sache war zu groß gedacht, die Folgen waren nicht abgewogen. Künftig soll es nicht nur einen Vorsitzenden, sondern eine Doppelspitze geben, und zwar aus zwei Partnern, die auch gemeinsam kandidieren. Alle Kandidaten sollen sich ausführlich der Parteibasis stellen. Und was die Mitglieder entscheiden, soll dem Parteitag, der laut Satzung nun einmal für die eigentliche Wahl der Vorsitzenden zuständig ist, Gesetz sein.

          Das langwierige und teure Verfahren, das die Partei damit nach dem Rücktritt von Andrea Nahles gewählt hat, hat den Sozialdemokraten allerdings überhaupt nichts gebracht. Weder haben sich bisher die Wahlergebnisse verbessert, noch ist ein Ruck durch die SPD gegangen. Auch die Verhältnisse in der Partei haben sich nicht verändert. Die Intriganten haben ihre Posten nicht verloren, im Willy-Brandt-Haus ist alles wie gewohnt.

          Zudem werden die Ministerpräsidenten, von denen die Partei immer noch erstaunlich viele stellt, oder die Minister aus den vielen Regierungsbeteiligungen weiter ein Wörtchen mitreden wollen. Und was vielleicht am schwersten wiegt: Die SPD hat immer noch nicht in aller Klarheit erkannt, dass sie, auf die Wahlergebnisse bezogen, längst eine kleine Partei ist, oft schon einstellig, oft nicht einmal mehr so stark wie die Grünen. Die SPD sieht sich unverdrossen als Dauerregierungspartei, tritt auch so auf und lässt nirgendwo erkennen, dass es an der Zeit für ein bisschen Demut wäre.

          Gerade das alles aber war für die außerhalb der Bundestagsfraktion wenig bekannte Esken, Fachfrau für Digitalpolitik, und Walter-Borjans, den früheren Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, die große Chance. Zuerst wurde die Kandidatur der beiden eher belächelt. Aber dann zeigte sich, dass sie genau den Ton trafen, den eine Mehrheit in der Partei hören wollte: Neuanfang, weg vom „Weiter so“, den SPD-Bus mit neuen Fahrern „vom neoliberalen Acker“ wieder auf die Straße bringen, mehr Geld für den Staat, Kampf den reichen Steuersündern, mehr sozialpolitische Verteilung. Weg mit Hartz IV. Was die Zukunft der großen Koalition betrifft, so hielten beide geschickt die Antwort in der Schwebe: Esken will den Ausstieg, Walter-Borjans die Entscheidung an Bedingungen knüpfen.

          Eine linke Mehrheit

          Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der heutigen SPD, dass vor allem der Karriere machen kann, der sich so weit wie möglich von den früheren Erfolgen der Partei abgrenzt, vor allem von Gerhard Schröders Kanzlerschaft. Weil Esken und Walter-Borjans auf diese Weise die sozialdemokratischen Herzen erwärmten, ist alles vergessen, was gegen sie spricht. Beide sind deutlich weniger bekannt als etwa Olaf Scholz. Esken ist 58 Jahre alt, Walter-Borjans 67. Beide hatten noch nie bundespolitische Ämter inne und haben von der Führung der schwierigen SPD bestenfalls eine vage Vorstellung.

          Trotzdem waren Esken und Walter-Borjans derart erfolgreich, dass sie in der ersten Abstimmung nur knapp hinter dem favorisierten Paar Geywitz und Scholz landeten. Da war schon klar: Zählt man alle Stimmen für linke Paare zusammen, gibt es eine Mehrheit in der Partei, die will, dass die SPD irgendwie neu wird und dabei auch den Gang in die Opposition nicht scheut. Das schloss eine Nur-nicht-Olaf-Bewegung ein, hinter der sich ebenfalls viele sammeln konnten. Diese Mehrheit entschied dann den zweiten Wahlgang. Allerdings war die Wahlbeteiligung so gering, dass es schwerfällt, von einer Legitimation für die designierten Vorsitzenden zu sprechen.

          Zerstört die SPD sich so selbst? Zumindest lässt die Wahl von Esken und Walter-Borjans die Partei weiter im Ungewissen. Und sie zeugt nicht von staatspolitischer Verantwortung. Denn was wird nun aus der Koalition, von der die SPD inhaltlich bisher deutlich mehr profitiert hat als die Union und die für Stabilität steht? Letztlich bedeutet die Wahl eben doch ein „Weiter so“, allerdings das „Weiter so“ jener, denen Führung, Macht und Durchsetzungskraft seit jeher suspekt sind und die auch die große Koalition lieber heute als morgen aufgeben würden. Esken und Walter-Borjans bekommen nun ihre Chance, aber die SPD gibt sich auf, und für Deutschland ist das ein politisches Erdbeben. Niemand sollte sich etwas vormachen: In dieser SPD können auch Esken und Walter-Borjans schneller als gedacht scheitern.

          Wer sind die Neuen bei der SPD? Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Porträt.

          Frank Pergande
          Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

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