
Wahlrechts-Urteil : Mit allen Rechten
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Bislang hatten bis zu 80.000 betreute Menschen kein aktives Wahlrecht. Bild: dpa
Es leuchtet ein, dass nicht jeder wahlberechtigt ist – etwa, wenn die Fähigkeit fehlt, den Akt der Wahl zu verstehen. Doch es besteht die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht Aufgaben des Gesetzgebers übernimmt. Ein Kommentar.
Es steht in den Sternen, ob es den Abgeordneten in dieser Legislaturperiode oder überhaupt je gelingt, das Bundestagswahlrecht zu reformieren. Es ist kaum möglich, die Zahl der Abgeordneten zu verkleinern (was eine Art Konsens ist), ohne an einem der Prinzipien des Wahlrechts herumzuschneidern oder diese Grundsätze neu zu gewichten. Dass die Wahlen aber allgemein und gleich sind, daran ist nicht zu rütteln.
Zwar leuchtet ein, dass nicht jeder wahlberechtigt ist, etwa weil ihm die Fähigkeit fehlt, den Akt der Wahl zu verstehen. Wer an der Kommunikation zwischen Wahlvolk und Staatsorganen nicht teilnehmen kann, kann auf grundgesetzkonforme Weise von der Wahl ausgeschlossen werden. Hierzu muss der Gesetzgeber wie so oft typisieren. Da der Wahlakt integrierende Wirkung nur auf der Basis freier und offener Kommunikation zwischen den Regierenden und den Regierten entfalten kann, kann ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit zur Teilnahme am Kommunikationsprozess nicht in hinreichendem Umfang besteht. Das darf aber nicht von Zufällen abhängig sein. So aber im Fall der betreuten Personen. Auch im Fall der in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten erscheint der Ausschluss vom Wahlrecht als eher willkürlich.
Nun besteht immer die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht sich zu weit auf eine technische Ebene vorwagt und Aufgaben miterledigt, die eigentlich Sache des Gesetzgebers sind. Es muss die Grundrechte im Einzelnen hochhalten und dafür sorgen, dass der Gesetzgeber bei seinen allgemeinen Regelungen nicht ins Ungerechte abdriftet. Das Wahlrecht, das auch der Hebel für eine Kontrolle jedes weiteren Schritts der europäischen Integration ist, ist ein solches Grundrecht. Gerade weil die hier fragliche Gruppe eine Minderheit ist, die eher im sozialen Abseits steht, ist besondere Achtung geboten. Und sie sind Bürger mit allen Rechten, solange der Gesetzgeber nicht überzeugend etwas anderes bestimmt. Es sollte möglich sein, hier eine dem Einzelfall gerecht werdende Regelung zu finden.
Daneben muss der Gesetzgeber endlich den großen Wurf in Angriff nehmen. Die Fraktionen machen sich sonst lächerlich. Karlsruhe ist aber in diesem Fall auch nicht ganz schuldlos an der Schwierigkeit, zu einer einfachen Lösung zu kommen.