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Kommentar : Abitur ohne Wert

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Die Kultusminister müssen handeln: Es gibt keine Vergleichbarkeit bei der Hochschulreife.

          3 Min.

          Das deutsche Abitur ist weit davon entfernt, auch nur annähernd irgendwie vergleichbar zu sein. Das gilt für die Länder, aber selbst innerhalb eines Landes. Das wissen auch die Kultusminister ganz genau. Trotzdem erklären sie der Öffentlichkeit seit Jahren, die Vergleichbarkeit durch sogenannte Bildungsstandards und einen Aufgabenpool sichern zu wollen. Die Festlegung auf 265 Stunden bis zum Abitur war die letzte – rein quantitative Einigung – die sie getroffen haben. Doch mehr als Scheinobjektivität ist damit nicht hergestellt.

          An den unterschiedlich geregelten Oberstufen der Länder, auch an den verschiedenen Bewertungs- und Benotungskriterien hat sich dadurch nämlich nichts geändert. Der Umbau der Oberstufe hat die eklatante Ungleichbehandlung der Abiturienten nicht gebessert. Mit der Festlegung auf fünf Kernfächer in vielen, längst jedoch nicht in allen Ländern, fiel die Unterscheidung zwischen Grund- und Leistungskursen. Wer Mathematik als Kernfach mit vier Stunden belegt, bekommt aber ein Fünftel weniger Unterricht als ein Abiturient, der einen Leistungskurs Mathematik absolviert hat. Selbst wenn eine Stunde mehr oder weniger am Unterrichtsergebnis nichts entscheidendes ändern sollte und wenn man das Lernziel, das Abiturienten am Ende ihrer Schulzeit erreicht haben sollen betrachtet, bleibt das Ergebnis ernüchternd.

          So hat das Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) die Mathematikleistungen von über tausend Abiturienten in Schleswig-Holstein untersucht und kam zu dem Schluss, dass nur 31 Prozent die angestrebte „voruniversitäre mathematische Bildung“ schafft. Es überrascht wenig, dass die Gymnasien mit naturwissenschaftlichem Profil am besten abschnitten, die mit ästhetischem Profil am schlechtesten, obwohl alle die gleiche Stundenzahl hatten und für alle die gleichen Lehrplananforderungen galten. Bei Gymnasien mit ästhetischem Profil scheiterte jeder zweite Schüler selbst an den Zielen der Mittelstufe. In Baden-Württemberg konnte dagegen fast die Hälfte der Schüler an allgemeinbildenden Gymnasien die Standard-Erwartungen an Leistungskurse in Mathematik erfüllen.

          Die eklatanten Unterschiede in ein und demselben Land erklären die Bildungsforscher vornehm mit kognitiven Grundfähigkeiten. Auch wenn es lange Zeit bestritten wurde, ist inzwischen längst erwiesen, dass Lernleistung ganz wesentlich an Intelligenz gekoppelt ist. Mit anderen Worten: Bildungserfolge sind in hohem Maße „erblich“, denn Intelligenz wird vererbt. Niemand wird durch seine Umgebung begabt, sie kann allenfalls durch gezielte Anregungen schlauer machen – aber immer nur im Verhältnis zur vorhandenen Intelligenz. Auch das ist inzwischen belegt. Es wird nur nicht gern gehört.

          Eine hundertprozentige Vergleichbarkeit wird man nie erreichen können, nicht einmal in ein und derselben Stadt. Auch dort wissen die Schüler ganz genau, wohin sie gehen müssen, um leichter einen Numerus-Clausus-tauglichen Abiturdurchschnitt zu erreichen. Aber es gibt noch einen weit wichtigeren Grund, der die Kultusminister an der dringend nötigen Angleichung der Oberstufenregelungen hindert. Länder mit hohen Anforderungen fürchten zu Recht, dass sie ihr Niveau nicht werden halten können. Länder mit niedrigeren Ansprüchen haben noch größere Angst, dass ihre Abiturientenquoten in den Keller schnellen oder halbe Jahrgänge durch die Prüfung fallen. Bei den Bildungsstandards lassen sich solche Probleme leicht dadurch lösen, dass die sogenannte Skalierung geändert wird. Ein rechnerischer Trick, von dem die Öffentlichkeit nichts erfährt. Eine Bundeszuständigkeit wäre übrigens keine Lösung für das Länderwirrwarr: der Bund würde allenfalls für ein mittleres bis unteres Niveau garantieren.

          Wenn die Länder nicht die endgültige Entwertung der Allgemeinen Hochschulreife weiter vorantreiben wollen, müssen sie wieder zu einer einheitlich geregelten Oberstufe kommen. Gelingt ihnen das nicht, stellen sie die gesamte Kultusministerkonferenz infrage. Mit Beschwichtigungen durch Bildungsstandards und andere Scheinlösungen wie Aufgabenpools wird sich die Öffentlichkeit jedenfalls nicht mehr abspeisen lassen. Die Kultusminister müssen sich auch eingestehen, dass eine Abiturientenquote von 50 bis 70 Prozent bei einem anspruchsvollen Niveau nicht zu halten ist. Wenn am Ende alle das Abitur haben, ist es eben nichts mehr wert. Das lässt sich in Frankreich mit seinem Abiturientenanteil von 80 Prozent eines Altersjahrgangs studieren.

          Jedenfalls kann es den Kultusministern eigentlich nicht gleichgültig sein, wenn jetzt öffentlich geeignete Eingangstests an den Universitäten gefordert werden. Die Erfahrung lehrt, dass der Aufwand für solche Tests immens und das Ergebnis dürftig ist. Die fähigsten Abiturienten bewerben sich nämlich nicht nur an einem Studienort, sondern an mehreren, so dass selbst renommierte Universitäten nicht zu jener Positivselektion gelangen, die sie sich erhofft haben, sondern zu einer Mischung aus sehr geeigneten bis weniger geeigneten Bewerbern, die sie auch ohne Auswahltest leicht hätten haben können.

          Heike Schmoll
          Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

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