Kölner Missbrauchsgutachten : Woelki hält Wort
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Eben noch galt er als oberster Vertuscher unter Deutschlands Bischöfen: Woelki im Februar Bild: dpa
Trotz aller Fehler hat Kardinal Rainer Maria Woelki Maßstäbe für die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs gesetzt. Zur Lichtgestalt macht ihn das nicht. Das System katholische Kirche muss reformiert werden.
In Deutschland ist etwas passiert, was bislang kaum vorstellbar war. Zwei katholische Bischöfe haben Papst Franziskus ihren Amtsverzicht angeboten, beide aus demselben Grund. Ihnen wurde nachgewiesen, dass sie zum Kreis derer gehörten, die sexuellen Missbrauch vertuscht, die Opfer vernachlässigt oder große Nachsicht mit den Tätern hatten. Der eine ist der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der andere der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp.
Es war im September 2018, als Heße, Schwaderlapp und die anderen deutschen Bischöfe die verheerenden Ergebnisse der Missbrauchsstudie der Bischofskonferenz zur Kenntnis nehmen mussten. Damals wurde Kardinal Reinhard Marx gefragt, ob es „einen oder zwei“ unter den mehr als sechzig versammelten Bischöfen gebe, die während der Beratungen gesagt hätten: „Ich habe so viel persönliche Schuld auf mich geladen, ich kann eigentlich die Verantwortung dieses Amtes nicht mehr tragen?“ Die knappe Antwort des damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz lautete: „Nein“. Seither konnte man sich fragen, wie es sein kann, dass bis in die jüngste Vergangenheit hinein sexueller Missbrauch in den Bistümern systematisch vertuscht wurde, aber keiner dafür verantwortlich gewesen sein will.
Die Entscheidung von Heße und Schwaderlapp stellt eine Zäsur dar. Aber sie taugt schlecht zur aufopferungsvollen Geste oder zum heroischen Akt. Beide versuchten bis zuletzt mit rechtlichem Beistand gegen die Offenlegung ihres Anteils an den eklatanten Pflichtverletzungen im Gutachten für das Erzbistum Köln vorzugehen. Dabei könnten sie unterschiedlicher kaum sein: Heße war einmal ein junger Hoffnungsträger vieler Katholiken, die sich Frauen als Priester wünschen, und bis vor kurzem Geistlicher Assistent des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Schwaderlapp ist ein konservativer Hardliner, ein Opus-Dei-Mann.
Rücktritte allein schaffen das Problem nicht aus der Welt
Mindestens ebenso undenkbar wäre es noch bis vor wenigen Tagen vielen erschienen, dass es ausgerechnet der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sein würde, der die beiden Bischöfe zu Fall bringt. Der Kirchenmann, der eben noch – aus eigenem Verschulden, wohlgemerkt – als oberster Vertuscher unter Deutschlands Bischöfen galt, hat sein Wort gehalten. Er hat in dem Missbrauchsgutachten die Namen von Verantwortlichen nennen lassen und, nach allem, was sich bislang sagen lässt, im Großen und Ganzen „ungeschönt und ohne falsche Rücksichten“, so wie er es im September 2018 angekündigt hatte. In einem beispiellosen Schritt hat er zudem zwei Weihbischöfe und seinen obersten Kirchenrichter suspendiert.
Dass der Kölner Kardinal selbst nach dem Urteil der Gutachter keine Pflichtverletzung begangen haben soll, mag man skeptisch sehen. Das ändert nichts daran, dass er Maßstäbe für die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs gesetzt hat: Am Kölner Gutachten müssen sich andere Bischöfe messen lassen, von der Evangelischen Kirche gar nicht zu reden.
Zur Lichtgestalt macht Woelki das nicht. Er kannte das Sündenregister von Heße, Schwaderlapp und Konsorten seit langem. Und vor allem hätte er das erste Missbrauchsgutachten nicht zurückhalten dürfen. Der Vertrauensverlust, der dadurch für die Kirche entstanden ist, dürfte irreparabel sein. Rücktritte allein schaffen das Problem nicht aus der Welt. Das System katholische Kirche muss reformiert werden. Solange kirchliche Verfahren wegen Missbrauchs in die Kategorie Verstoß gegen das Zölibatsversprechen fallen, geht die Verhöhnung der Betroffenen weiter, selbst wenn alle deutschen Bischöfe dem Papst ihren Rücktritt anbieten würden.