Koalitionsgipfel : Linien abstecken im Minenfeld
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Großen Wert scheinen die drei Parteiführer der Koalition nicht mehr auf ihre Treffen zu legen Bild: dapd
Die drei Vorsitzenden der Koalitionsparteien hatten sich zu einem Gespräch im Kanzleramt eingefunden. Es gab viel zu bereden. Und nichts zu beschließen.
Es ist lange her gewesen, dass sich die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP zu einem Gespräch unter sechs Augen getroffen hatten. Von einer Gesprächsrunde am 18. Februar einmal abgesehen, die allerdings allein dem Ziel gegolten hatte, einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsenten zu finden, saßen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Horst Seehofer und Wirtschaftsminister Philipp Rösler am 6. November vergangenen Jahres zu dritt beisammen. Damals bereiteten sie das Treffen der Koalitionsspitzen in großer Runde vor, das nach der Terminologie der Berliner Politik „Koalitionsausschuss“ heißt. Steuerpolitik, Betreuungsgeld, Pflegeversicherung und Zuwanderung ausländischer Fachkräfte waren damals die Themen. Manche stehen immer noch auf der sogenannten Agenda der Koalition.
Der Koalitionsausschuss wiederum, der nach den ganz ursprünglichen Planungen der schwarz-gelben Koalition monatlich tagen sollte, war zuletzt am 4. März zusammengetroffen. Großen Wert auf solche Runden scheint man nicht mehr in den Führungen der drei Koalitionsparteien zu legen. Und festzuhalten bleibt, dass das Ergebnis der letzten Dreier-Gipfels - Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten für die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten Wulff - nicht einmal zwei Tage Bestand hatte: Die FDP stieg aus und unterstützte zum Ärger der Unions-Parteien Joachim Gauck, den Kandidaten von SPD und Grünen.
Entsprechend suchten Sprecher und sonstige Vertreter von CDU, CSU und FDP am Montag, noch kurz vor Beginn der Unterredung ihrer Vorsitzenden im Bundeskanzleramt, die Erwartungen über den Ausgang des Treffens zu minimieren. Der Sprecher von Frau Merkel, Staatssekretär Seibert, etwa teilte mit, über das Betreuungsgeld werde gar nicht gesprochen. Das hatte immerhin insofern eine gewisse Plausibilität, als Horst Seehofer nach jenem Fernsehinterview, dessen kommunikativen Nachgang er ebenfalls zum Senden freigab, bekundet hatte, er werde nicht noch einmal im Koalitionsausschuss auftauchen, solange dieses Vorhaben nicht „umgesetzt“ sei. Nun soll das Bundeskabinett an diesem Mittwoch den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld beschließen und in die parlamentarischen Beratungen einspeisen - der Umsetzung erster Teil sozusagen. Beschlüsse, so lauteten die politischen „Botschaften“ vor der Unterredung, sollten bei dem Treffen nicht gefasst werden.
Es wurde die Begründung nachgeschoben, das „Beschlussorgan“ der Koalition sei deren „Koalitionsausschuss“. Dem gehören neben den Parteivorsitzenden auch die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen, der Chef des Kanzleramtes, die Generalsekretäre und die Parlamentarischen Geschäftsführer an. Es ist also eine vergleichsweise große Runde, was die Ungewissheit des zielgerichteten Ausplauderns vom Gesprächsverlauf erhöht. Deshalb wiederum tritt sie nur zusammen, wenn die Verhandlungsergebnisse schon vorher vereinbart sind.
Nachdem Seibert schon mitgeteilt hatte, über den Wunsch der CSU, eine allgemeine Autobahnmaut einzuführen, werde nicht entschieden, äußerte auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, „operative Entscheidungen“ stünden im Kanzleramt nicht an. Es werde um das „Abstecken der großen Linien“ der Koalitionsarbeit gehen, um grundsätzliche Absprachen, welche Vorhaben noch bis zur Bundestagswahl im September 2013 verwirklicht werden könnten. Die Europa- und die Euro-Politik nannte er, die Energiewende, sodann die Rentenpolitik und Fragen der Bildungspolitik und der inneren Sicherheit. Alles, was einer der drei Parteivorsitzenden wünsche, könne angesprochen werden; Finanzminister Schäuble (CDU) war - für die Öffentlichkeit unerwartet - zu dem Gespräch hinzugebeten worden. Es werde, sagte Gröhe, vor allem über „prozedurale Fragen“ gesprochen werden - Fragen also von Zeitplänen und parlamentarischen Beratungen. Die Prognose des CDU-Generalsekretärs traf in ihrer hehren Allgemeinheit ein. Zu den Verabredungen der drei Parteivorsitzenden gehörte es, den Koalitionsausschuss noch vor der Sommerpause tagen zu lassen.
Gröhe hält Lohnuntergrenze für Gewinnerthema
Stimmungen in der Koalition kennzeichnete der CDU-Generalsekretär auf indirekte Weise. Falls sich die FDP weiterhin weigere, über Lohnuntergrenzen mit sich reden zu lassen, werde die CDU die Sache in ihr „Wahlprogramm“ für die Bundestagswahl 2013 schreiben. Er machte seine Auffassung deutlich, dass er das für ein Gewinnerthema halte. Es passte dazu, dass Gröhe die von der FDP-Führung und auch von Rösler selbst immer wieder in die Welt gesetzte These, es gebe in Deutschland drei, vier oder gar fünf „sozialdemokratische Parteien“, als ziemlichen Unfug kennzeichnete. Vielleicht war das eine Retourkutsche an die Adresse des FDP-Generalsekretärs Döring gewesen, der vor dem Gespräch im Kanzleramt der CSU einen ständigen „Eigensinn“ vorgeworfen und die „Maut“ als ein Beispiel genannt hatte. Er jedenfalls wolle keine Bewertungen über andere Koalitionspartner abgeben, sagte Gröhe.
So ähnlich sollte es kommen. Dem Vernehmen nach lehnte Rösler sämtliche Wünsche Frau Merkels und Seehofers ab, die nicht im Koalitionsvertrag gestanden hatten: Lohnuntergrenze, Maut, Frauenquote. Seehofer wiederum registrierte, dass kein Thema „vom Tisch“ sei. Rösler hatte im Gegenzug in Kauf zu nehmen, dass die Streichung der Praxisgebühr zwar besprochen, nicht aber beschlossen wurde. Tatsächlich sei die gesamte „Agenda“ der Koalition besprochen worden, hieß es hernach. Die Gesprächsatmosphäre sei gut gewesen. Beschlüsse wurden nicht gefasst. Die vier Teilnehmer der knapp drei Stunden langen Gesprächsrunde verzichteten darauf, Festlegungen unmittelbar im Anschluss an das Treffen vor Journalisten zu erläutern.