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Kirche und Missbrauch : Muss der Staat eingreifen?

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki Anfang Februar Bild: dpa

Die religionspolitischen Sprecher mehrerer Fraktionen kritisieren den Kölner Kardinal Woelki für dessen Rolle bei der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Notfalls könne ein „Signal“ aus der Politik erforderlich sein.

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          In der Politik wächst der Unmut über den Umgang Rainer Maria Kardinal Woelkis mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln. Die religionspolitischen Sprecher mehrerer Fraktionen machten gegenüber der F.A.Z. deutlich, dass ihre Geduld bald erschöpft sei und notfalls auch ein „Signal“ aus der Politik erforderlich sein könnte.

          Thomas Jansen
          Redakteur in der Politik.

          Der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci sagte, die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt sei zwar zuerst Sache der Kirche. „Aber ich sehe das mittlerweile mit großer Skepsis – vor allem auch mit Blick auf das Erzbistum Köln. Die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens am 18. März ist aus meiner Sicht die letzte Chance, um verspieltes Vertrauen wieder zu gewinnen“. Wenn diese Chance nicht genutzt werden sollte, so Castellucci weiter, „dann muss man über ein staatliches Dach für die Aufarbeitung nachdenken“. Ein solches müsste dann aber das „ganze traurige Spektrum einbeziehen, also neben den Kirchen etwa auch den Sport“.

          Zweifel von Betroffenen

          Der CDU-Abgeordnete Hermann Gröhe verwies auf die Vereinbarung zur Einrichtung unabhängiger Kommissionen, welche die Deutsche Bischofskonferenz und der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, im Juni unterzeichnet hatten. Diese stelle „eigentlich“ eine geeignete Grundlage für die Aufarbeitung von Missbrauch dar. Allerdings nehme er „sehr ernst zur Kenntnis, dass Betroffenenvertreter in der katholischen Kirche erhebliche Zweifel daran haben, ob diese Aufarbeitung mit dem notwendigen Nachdruck vorangetrieben wird“. Ob mit einer zügigen und umfassenden Anwendung der Vereinbarung mit dem Unabhängigen Beauftragten Vertrauen für diesen Weg zurückgewonnen werden könne, werde sich „in den nächsten Wochen zeigen müssen“, so Gröhe.

          Unterdessen haben acht Monate nach der Vereinbarung immer noch nicht alle Bistümer Gespräche über die Einrichtung unabhängiger Kommissionen mit dem Missbrauchsbeauftragten aufgenommen. Auf F.A.Z.-Anfrage teilte eine Sprecherin des Missbrauchsbeauftragten am Dienstag mit, man sei sind mit „fast allen Bistümern im Gespräch“. Mit rund der Hälfte von ihnen sei man „schon ziemlich weit gekommen“. Dazu zählt nach Angaben der Sprecherin auch das Erzbistum Köln – „trotz der nachvollziehbaren Kritik in der Gutachtenfrage“. Man rechne damit, dass in diesen Bistümern bis zum Ende des Jahres unabhängige Kommissionen zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs eingerichtet würden.

          Debatte über Wahrheitskommission

          Nicht zu eigen machten sich die religionspolitischen Sprecher die Forderung, eine Wahrheitskommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs durch den Bundestag einzusetzen. Dafür setzen sich etwa die Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ und die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands ein. „Die riesigen Erwartungen an eine solche Kommission könnten von dieser wohl nicht erfüllt werden, weil ihr die rechtlichen Instrumente fehlen“, äußerte der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser. „Das Agieren des Erzbistums Köln mit Erzbischof Woelki an der Spitze belastet das Vertrauen von Opfern und Politik in eine transparente Aufklärung massiv“, äußerte Strasser weiter. Das sei „höchst bedauerlich und muss unbedingt abgestellt werden“. Trotzdem halte er es „für keinen optimalen Weg, die weitere Aufarbeitung durch eine in unserer Rechtstradition nicht üblichen ´Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission´ auf den Staat zu übertragen.“

          Lars Castellucci ist religionspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag.
          Lars Castellucci ist religionspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. : Bild: Picture-Alliance

          Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, wandte sich am Dienstag ebenfalls gegen die Einrichtung einer solchen Wahrheitskommission. „Diese Frage habe ich nicht zu entscheiden“, sagte er zu Beginn der digitalen Frühjahrsvollversammlung. Den Bischöfen sei klar, dass Kirche Aufarbeitung nicht allein leisten könne. Dafür brauche es die gesellschaftliche Öffentlichkeit, aber vor allem die Betroffenen. Die Bischöfe hätten jedoch einen anderen Weg als eine Wahrheitskommission gewählt, indem sie mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung eine Vereinbarung geschlossen hätten. Daran müssten sie sich messen lassen, so Bätzing.

          Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, bezeichnete es als „absolut zwingend, dass endlich die berechtigten Interessen der Opfer im Vordergrund der Debatte stehen“. Dafür brauche es „an erster Stelle transparente und lückenlose Aufklärung und die entschlossene, sichtbare und nachvollziehbare Umsetzung innerkirchlicher Aufarbeitung von Fällen des sexuellen Missbrauchs“. Er hob zugleich hervor, dass Missbrauch und sexuelle Gewalt gegen Kinder ein „gesamtgesellschaftliches Problem“ seien, „bei dem auch der Deutsche Bundestag eine politische Verantwortung dafür trägt, Aufarbeitung zu ermöglichen und Strukturen zu verbessern, um solche Taten zukünftig zu verhindern“.

          Eine deutliche Absage erteilte der religionspolitische Sprecher der AfD, Volker Münz, einer weitergehenden staatlichen Intervention in die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt der katholischen Kirche. „Jenseits strafrechtlicher und zivilrechtlicher Verfahren haben sich staatliche Stellen bei einer weiteren Aufarbeitung der Vorgänge, zum Beispiel durch eine sogenannte Wahrheitskommission, nicht einzumischen“, äußerte Münz.

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