Kasseler Mord in neuem Licht : Verdächtiger Verfassungsschützer
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In diesem Kasseler Internetcafé ereignete sich der Mord Bild: dpa
2006 wurde Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel erschossen. Zur Tatzeit befand sich nach Informationen der F.A.Z. möglicherweise auch ein damaliger Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort.
Am 6. April 2006 wurde Halit Yozgat in seinem Internetcafé in der Kasseler Nordstadt erschossen. Der Einundzwanzigjährige saß hinter der kleinen Theke, die nicht viel mehr als ein Schreibtisch war. Im vorderen Raum waren Telefonzellen aufgestellt, beklebt mit bunter Reklame. In einem hinteren Raum befanden sich die Computerplätze. Das Café war an diesem Tag spärlich besucht. Doch mehrere Zeugen konnten sich später an einen hageren Mann mittleren Alters erinnern, der eine Tüte bei sich trug. Der Mann wurde später, nachdem Halit Yozgat erschossen worden war, vom Zeugen zum Verdächtigen - und zwar, weil er sich als einziger Anwesender auf einen Zeugenaufruf der Polizei nicht meldete.
Die Ermittler gingen der Spur des anonymen Besuchers nach, sicherten die Festplatte des Computers, an dem der Unbekannte im Internet gesurft hatte, und DNA-Spuren. Als diese ausgewertet waren, hatten die Ermittler einen Namen zu ihrem Verdächtigen. Und nicht nur das, sie kannten auch seinen Beruf: Der Mann war Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes.
Ermittlungen eingestellt
Damals brachte das die Sicherheitsbehörden aus der Fassung, aber die Aufregung ebbte schnell wieder ab. Die Kasseler Staatsanwaltschaft leitete die Ermittlungen gegen den Mann, der vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz unverzüglich nach seiner Festnahme entlassen worden war. Es gab zwar einen Durchsuchungsbeschluss, aber das Buch über Serienmorde, das man in seiner Wohnung fand, bewertete man lediglich als Indiz. Es gab auch Nachforschungen über mögliche Zusammenhänge zu anderen „Döner-Morden“, zu denen die Ermittler die Tat schließlich rechneten - aber für mindestens eine Tat hatte der Verdächtige ein Alibi.
Die Ermittler durchforsteten mit Unterstützung des selbst an Aufklärung interessierten hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz sogar sämtliche Fahrtenbücher, Kreditkartenabrechnungen und Tankquittungen. Doch eine Nähe zu der Mordserie, die seit 2000 anhielt, ließ sich nicht erkennen. Also stellte die Kasseler Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Beamten kurze Zeit später ein. Seitdem wurde dem Verdächtigen keine besondere Aufmerksamkeit mehr geschenkt - bis zum vergangenen Wochenende.
Als nun erstmals Vermutungen darüber geäußert wurden, dass möglicherweise thüringische Verfassungsschützer etwas über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) gewusst haben könnten, erinnerte man sich auch wieder an den hessischen Fall und stellte neue Fragen.
Viele neue Details
Am Montagmorgen kamen dann nach mehr als fünf Jahren plötzlich neue Erkenntnisse ans Licht. So hatte der frühere Verfassungsschützer nicht, wie bisher behauptet, das Internetcafé kurz vor der Tat verlassen, sondern er hatte sich entgegen bisheriger Annahmen offenbar doch zum Zeitpunkt der Tat in dem Laden aufgehalten.
Er soll sogar noch Geld auf die Theke gelegt haben, die Gebühr für die Computernutzung. Auch dass in der Wohnung des Mannes neben einem Buch über Serienmorde, herausgegeben von einem Polizeiverlag, Schusswaffen gefunden worden sind, war bislang nicht bekannt.
Im hessischen Innenministerium hieß es am Montag, man könne sich nicht zu der Tat äußern. Eine Sprecherin verwies auf den Generalbundesanwalt. Der wird den Kasseler Fall, der ebenfalls dem „NSU“ zugerechnet wird, nun abermals untersuchen und womöglich auch die Rolle des früheren Verfassungsschützers beleuchten. In Sicherheitskreisen heißt es, es gehe weiterhin nur um Indizien. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse sei eine neue Prüfung notwendig.