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Jüdische Emigranten : Karlsruhe: Verweigerung der Einbürgerung war unrecht

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Bild: dpa

Viele Nachkommen von NS-Verfolgten kämpfen um einen deutschen Pass, doch die Behörden legten die Regeln lange eng aus. Nun hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass das in vielen Fällen unrecht war.

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          Im Streit über die Einbürgerung von Nachkommen verfolgter Juden hat das Bundesverfassungsgericht die langjährige Praxis deutscher Behörden für verfassungswidrig erklärt. Die Karlsruher Richter gaben der Verfassungsbeschwerde der Tochter eines jüdischen Emigranten als offensichtlich begründet statt; die Ablehnung einer Einbürgerung verstoße gegen Wertentscheidungen des Grundgesetzes.

          Alexander Haneke
          Redakteur in der Politik.

          Geklagt hatte eine 1967 in den Vereinigten Staaten geborene Frau, deren Vater 1938 als Jude die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden war, woraufhin er nach Amerika floh. Als sich die Tochter in Deutschland um eine Wiedereinbürgerung bemühte, lehnte man ihren Antrag mit der Begründung ab, dass sie als nichteheliches Kind die deutsche Staatsangehörigkeit auch ohne Ausbürgerung ihres Vaters nicht hätte erlangen können, da die Staatsbürgerschaft nach damaligem Recht nur an eheliche Kinder weitergegeben wurde.

          Das Bundesverwaltungsamt pflegte bei der Einbürgerung der Nachkommen von NS-Verfolgten über Jahrzehnte eine äußerst restriktive Praxis. Viele Anträge wurden mit dem Verweis auf den exakten Wortlaut von Artikel 116 Grundgesetz abgelehnt, der ein Recht auf Einbürgerung dann festschreibt, wenn den Betroffenen oder ihren Vorfahren als Verfolgten die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Hatten die Emigranten etwa vor dem formellen „Entzug“ eine andere Staatsangehörigkeit angenommen und somit ihren deutschen Pass „aufgegeben“, lehnten die Behörden die Anträge ab.

          Auch vor 1953 geborenen Kindern verfolgter Frauen wurde das Recht aberkannt, da die Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt ihrer Geburt nur durch den Vater weitergegeben wurde. Erst im vergangenen Sommer hatte das Bundesinnenministerium auf den wachsenden öffentlichen Druck reagiert und eine großzügigere Einbürgerungspraxis in einem Erlass geregelt. Vor allem im Zuge des Brexits hatten sich immer mehr Nachkommen jüdischer Emigranten um einen deutschen Pass bemüht. Viele der Betroffenen dringen auf eine gesetzliche Regelung der sogenannten Wiedergutmachungseinbürgerung, da auch der Erlass des Ministeriums noch nicht alle Fälle erfasst.

          Wiedergutmachung verträgt keine „einengende Auslegung“

          Die Karlsruher Richter stellten nun klar, dass Artikel 116 der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts diene, was einer „einengenden Auslegung“ grundsätzlich entgegenstehe. Es laufe den Wertentscheidungen des Grundgesetzes zuwider, wenn dabei auf nicht mehr gültige Abstammungsregeln abgestellt werde, die etwa uneheliche Kinder diskriminierten. Artikel 6 fordere eine Gleichbehandlung aller Kinder unabhängig von ihrem Familienstand, Artikel 3 verbietet ohnehin schon eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts.

          „An diesen Maßstäben gemessen halten die angegriffenen Entscheidungen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand“, heißt es in dem Beschluss. Auch stellen die Karlsruher Richter klar, dass der Begriff „Abkömmling“ in Artikel 116 weit hätte ausgelegt werden müssen, da gerade mit Blick auf die Wertentscheidungen der Verfassung kein Grund ersichtlich sei, nur eheliche Abkömmlinge zu erfassen.

          Durch die Karlsruher Entscheidung wurden auch mehrere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das in den vergangenen Jahrzehnten die Praxis der Behörden bestätigt hatte, für verfassungswidrig erklärt.

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