Kanzler beim F.A.Z.-Kongress : Scholz: Keinen „russischen Diktatfrieden“ zulassen
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Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag auf dem F.A.Z.-Kongress im Gespräch mit Herausgeber Berthold Kohler. Bild: Frank Röth
Der Kanzler sieht Deutschland auf einem guten Weg, was die Reform des Beschaffungswesens betrifft. Dass Russland mit Gewalt Grenzen in Europa zu verschieben versucht, dürfe man nicht zulassen, sagt Scholz beim F.A.Z.-Kongress.
Mehr als ein Jahr liegt der Angriff Russlands auf die Ukraine nun zurück – ein Ereignis, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einer Regierungserklärung kurze Zeit später eine „Zeitenwende“ genannt hat. Das Bundesverteidigungsministerium steht inzwischen unter neuer Leitung, doch von dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen ist bislang kaum etwas bei der Truppe angekommen.
Scholz zeigte sich am Freitag in Frankfurt dennoch optimistisch, dass die Ausstattung der Bundeswehr bald spürbar besser sein werde: „Wir werden eine Verteidigungswirtschaft haben, die unseren Sicherheitsinteressen dauerhaft dienen kann“, sagte Scholz beim F.A.Z.-Kongress „Zwischen den Zeilen“ an der Frankfurter Goethe-Universität. Eine laufende Produktion an Waffen und Munition sei gut – und schon im Spätsommer werde es eine „relevante“ Produktion an Munition für den Gepard-Panzer geben.
„Wo kämen wir hin?“
„Wir spüren, was für Fehlentscheidungen in der Vergangenheit getroffen worden sind“, sagte Scholz auf die Frage von F.A.Z.-Herausgeber Berthold Kohler, warum das Sondervermögen bislang praktisch nichts bei der Truppe angekommen ist. Es sei nötig, langfristige Verträge mit Rüstungsunternehmen abzuschließen und vorausschauender zu planen, so der Kanzler. Dass er zu lange an der kürzlich zurückgetretenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) festgehalten hat, sieht Scholz nicht.
Es könne nicht sein, dass Russland seine Grenzen unter Verweis auf frühere Zustände nun seine Grenzen verschieben wolle. „Wo kämen wir hin, wenn das die Sicherheitsordnung in Europa bestimmen würde?“, sagte Scholz. Es sei die große Errungenschaft der Entspannungspolitik der Siebzigerjahre, dass mit Gewalt keine Grenzen verschoben werden. Das sei in Deutschland Konsens. „Und das darf man auch von anderen erwarten, sonst ist der Friede gefährdet.“ Die Ukraine dürfe nicht verlieren, es dürfe keinen „russischen Diktatfrieden“ geben, sagte Scholz und erntete dafür Applaus aus dem Publikum des F.A.Z.-Kongresses.
Was die Migrationskrise betrifft, so warb Scholz für sogenannte Migrationspartnerschaften und eine verstärkte Zuwanderung von Fachkräften, die dringend gebraucht würden. „Wir brauchen die Digitalisierung der Ausländerbehörden“, verlangte der Kanzler. „Ich frage mich: Wo leben wir eigentlich, fast zehn Jahre nach 2014/2015 zu hören, vielleicht ist ein Zehntel der Ausländerbehörden digitalisiert. Das kann doch nicht wahr sein.“ Warum könne man elektronische Akten nicht einfach von Ausländerbehörde zu Ausländerbehörde verschicken, frage Scholz. „Ich finde, diese Arbeit muss gemacht werden.“
Scholz hat beim F.A.Z.-Kongress die Forderung der Grünen zurückgewiesen, dass nach der langen Sitzung des Koalitionsausschusses nun noch einmal über Klimaschutzthemen gesprochen werden müsse. „Wir haben eine sehr abschließende Klärung gefunden in Fragen, die über viele Jahre ungeklärt gewesen sind“, sagte Scholz auf dem Politik-Hauptpanel. Nach den insgesamt 30 Stunden währenden Verhandlungen, in denen es vor allem über Klimaschutz- und Infrastrukturthemen ging, hatten sich insbesondere die Grünen in der Ampelkoalition unzufrieden gezeigt. „Es muss nicht erstaunen, dass viel zu diskutieren ist“, sagte Scholz „Über Jahrzehnte ist viel zugewachsen.“ Es seien viele Vorschriften hinzugekommen, die Planungsprojekte verlangsamten. „Die Lösungen dafür liegen nicht auf der Hand.“
Der Ukrainekrieg war beim Kongress immer wieder Thema, so auch am Vormittag. Da stand der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz den F.A.Z.-Redakteuren Helene Bubrowski und Simon Strauß Rede und Antwort. Er habe die Ukraine „unzählige Male“ besucht und „viele Freunde“ dort, sagte der 36 Jahre alte frühere Politiker, der inzwischen als Unternehmer tätig ist. Kurz war Außenminister, als Russland 2014 die Krim annektierte.
„Der Krieg ist in keiner Weise zu rechtfertigen“, sagte Kurz. Es sei richtig, dass der Westen Moskau nun entschieden entgegentrete und dass die Staaten ihre Energiepolitik an die neue Lage anpassten. Ob eine andere Haltung des Westens zu Moskau die politische Lage allerdings hätte verändern können, wollte Kurz so nicht sagen. „Da habe ich kein abgeschlossenes Meinungsbild“, sagte er im „Junge Köpfe“-Panel.