Kampf um Schulplätze in Berlin : Scheinadressen, Eilanträge und Briefe vom Anwalt
- -Aktualisiert am
Nicht jedes Kind hat den Platz bekommen, den es wollte. Manche noch gar keinen. Bild: dpa
Die Schulplätze in der Hauptstadt sind knapp – und der Kampf um sie wird härter. Damit ihr Kind an der Wunschschule landet, greifen Berliner Eltern auch zu illegalen Tricks.
Luise wollte unbedingt die gleiche Grundschule wie ihre ältere Schwester besuchen. Doch für sie und ihre Eltern begannen die Sommerferien mit einer Zitterpartie. Bis in die ersten Ferientage war die Schulfrage vollkommen unklar. Wegen einer Änderung des sogenannten Einzugsbereichs hatte das zuständige Bezirksamt Luise zunächst einer anderen Schule zugeteilt. Da beide Eltern berufstätig sind und keine Zeit haben, ihre Kinder in zwei verschiedenen Himmelsrichtungen zur Schule zu bringen, haben sie dagegen geklagt. Kurz vor Ferienbeginn hatte die Tochter dann doch den gewünschten Platz und kann in der kommenden Woche eingeschult werden.
Für andere Berliner Eltern ist die Zeit der Unsicherheit noch nicht zu Ende. Denn längst nicht alle Verfahren gegen Schulplatzbescheide für künftige Erstklässler können rechtzeitig entschieden werden. Bis Mitte dieser Woche lagen dem Verwaltungsgericht Berlin 177 Eilanträge von Eltern vor, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Das liegt vor allem daran, dass Grundschulplätze fehlen, weil in den Einzugsbereichen mehr Kinder wohnen als angenommen. Allein im Bezirk Mitte gab es 163 Widersprüche gegen die zugewiesenen Plätze. Und das Gericht rechnet noch mit weiteren Anträgen.
In den nächsten beiden Jahren wird sich das Problem wegen des anhaltenden Zuzugs nach Berlin weiter verschärfen. Allein im ersten Halbjahr 2017 ist Berlin um 18.400 Einwohner gewachsen. Die meisten Bundesländer legen für jede Gegend eine bestimmte Grundschule fest, aber auch in Ländern wie Nordrhein-Westfalen oder Hamburg, wo die Eltern frei wählen können, landet nicht jeder an der gewünschten Schule. Sobald sich zu viele angemeldet haben, entscheiden Begabung, Wohnortnähe oder das Los.
Täglich eine Stunde mehr für den Schulweg
Alleinerziehende und Berufstätige trifft es besonders hart, wenn das jüngere Geschwisterkind nicht dieselbe Grundschule besuchen darf wie das ältere, weil die Schule überfüllt ist oder weil der dafür zuständige Bezirk den Einzugsbereich neu zugeschnitten hat. Für viele Eltern hieße das, täglich eine Stunde mehr für zusätzliche Schulwege einzuplanen. Wer sich wehrt, muss mit etwa eintausend Euro Anwaltskosten rechnen. Hinzu kommt, dass die meisten Rechtsschutzversicherungen für Verwaltungsgerichtsverfahren nicht aufkommen.
Zwar verweist die Sprecherin der Schulsenatorin darauf, dass sowohl Widerspruchsverfahren als auch gerichtliche Verfahren ohne Anwalt betrieben werden können sowie Prozesskostenhilfe beantragt werden kann, aber ein eigenmächtiger Protest ist meist von wenig Erfolg gekrönt. Das bestätigen auch die Schulrechtsanwälte in Berlin. Nicht wenige haben sich ausschließlich auf solche Widerspruchsverfahren spezialisiert. Einer von ihnen, Olaf Werner, spricht von einem sprunghaften Anstieg der Ablehnungsbescheide. Er rät seinen Mandanten dazu, einen Plan B zu haben, wenn der erste Wunsch nicht erfüllt wird. Manchmal gebe es eine attraktive Ausweichlösung, an die Eltern nicht gedacht hätten, sagt Werner.
Die betroffenen Eltern sind nicht nur sauer, dass sie auf Nachfragen weder vom Senat noch vom Bezirksamt eine Antwort bekommen, sie können auch ein Lied von der angeblich wohnortnahen Grundschule singen. Nicht selten soll das jüngere Geschwisterkind durch den unglücklichen Zuschnitt des Einzugsbereichs an eine deutlich weiter entfernte Grundschule gehen. Auf Antworten des Bezirksamts, das in Berlin für den Zuschnitt sowie die auskömmlichen Platzkapazitäten an den Grundschulen vor Ort zuständig ist, warten sie genauso vergeblich wie diese Zeitung.