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Verfassungsschutzreform : Kabinett beschließt Gesetzentwurf

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Ermittlungspannen, offene Fragen im NSU-Prozess, mutmaßliche Opfer rechtsextremer Gewalttäter: Demonstration gegen die mangelhafte Arbeit der Verfassungsschutzämter 2013 in Berlin Bild: dpa

Die Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzämtern muss besser werden. Das haben die desaströsen Ermittlungen zu den NSU-Morden gezeigt. Ein Gesetzentwurf dazu ist an diesem Mittwoch verabschiedet worden.

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          Als Konsequenz aus dem Ermittlungsdesaster im Fall der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU will die Bundesregierung die Zusammenarbeit der Verfassungsschützer in Bund und Ländern verbessern. Geplant sind auch strengere Regeln für den umstrittenen Einsatz von V-Leuten. Das Bundeskabinett hat dazu an diesem Mittwoch einen Gesetzentwurf beschlossen; Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will sich gegen Mittag zu dem Vorhaben äußern.

          In den Ländern gibt es durchaus noch Gesprächsbedarf zu dem Vorhaben. Auch der Vorsitzende des Geheimdienst-Kontrollgremiums im Bundestag, André Hahn (Die Linke), äußerte sich unzufrieden.

          Das Vorhaben ist eine Reaktion auf die Pannen bei den Ermittlungen zur rechten Terrorzelle NSU. Hier hatten sich schwerste Defizite bei der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden offenbart. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) war viele Jahre lang unentdeckt geblieben. Der rechtsextremen Gruppe werden zwischen 2000 und 2007 zehn Morde an neun türkisch- und griechischstämmigen Männern und einer Polizistin zur Last gelegt. Die Gruppe war erst Ende 2011 entdeckt worden.

          Straffreiheit bei „szenetypischen“ Delikten

          Die Verfassungsschützer in Bund und Ländern sollen nun gesetzlich zu einem intensiveren Informationsaustausch verpflichtet werden. Vorgesehen ist auch, die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zentralstelle zu stärken und ihm eine stärker koordinierende Funktion im Netz der Verfassungsschutzbehörden zu geben. Außerdem sind strengere Regeln für den Einsatz von V-Leuten im Bund sowie mögliche Straffreiheit bei kleineren, „szenetypischen“ Delikten vorgesehen.

          Feierstunde zum zehnjährigen Bestehen des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums in der Außenstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin, aufgenommen im Oktober 2014
          Feierstunde zum zehnjährigen Bestehen des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums in der Außenstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin, aufgenommen im Oktober 2014 : Bild: dpa

          Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD), sagte, über die Verteilung der Verantwortung zwischen Bund und Ländern sei noch zu reden. „Wir sind als Bundesländer für die Polizei und den Verfassungsschutz zuständig. Diese Kompetenzen haben die Väter des Grundgesetzes aus guten Gründen den Bundesländern und nicht zentralistisch dem Bund übertragen. An dieser Aufteilung wollen wir auch in Zukunft festhalten.“

          Thüringen verzichtet auf V-Leute

          Unter anderen stört sich der Geheimdienst-Kontrolleur Hahn (Die Linke) an den Plänen zum Einsatz von V-Leuten, also Mitgliedern einer Szene, die dem Verfassungsschutz regelmäßig Informationen liefern. „Der Bund sollte Thüringen folgen und die V-Leute schnellstmöglich abschalten“, sagte Hahn. „Von ihnen begangene Straftaten rechtlich absichern zu wollen, ist mit Sicherheit der falsche Weg und schon gar nicht die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Ausschusses.“

          Das rot-rot-grün regierte Thüringen hatte vor wenigen Tagen angekündigt, künftig als erstes Bundesland auf den Einsatz von V-Leuten zu verzichten – und dies ebenfalls als Lehre aus dem NSU-Skandal deklariert.

          Für andere Länder kommt es dagegen überhaupt nicht infrage, ganz auf solche Quellen zu verzichten. „Berlin kann und wird sich ein solches Risiko nicht leisten“, sagte beispielsweise der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU). „V-Leute bleiben ein unverzichtbares Instrument.“ Auch das Bremer Innenressort sprach von einem „nicht zu rechtfertigenden Sonderweg“, den Thüringen beschreite. Ähnlich äußerten sich auch die Innenminister in anderen Ländern. Allerdings haben einige von ihnen bereits strengere Regeln für den V-Leute-Einsatz festgeschrieben oder planen es. Deutliche Kritik am Thüringer Weg kam von Lorenz Caffier (CDU), dem Sprecher der Unions-Innenminister aus Mecklenburg-Vorpommerns. Caffier sagte: „Thüringen muss sich nun die Frage stellen, wie es damit umgeht, wenn es in Teilen aus dem Verbundsystem aussteigt.“

          Joachim Herrmann: Thüringen muss Geheimhaltung garantieren

          Der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte: „Gute und effektive Verfassungsschutzarbeit lässt sich nicht allein vom Schreibtisch aus machen.“ Die Einschätzung durch reale Personen sei wesentlich. Henkel und Ulbig erwarten aber nicht, dass der Informationsaustausch mit Thüringen ins Stocken geraten wird. Schließlich seien die Verfassungsschutzbehörden zur Kooperation verpflichtet. Aus Baden-Württemberg hieß es, zum künftigen Umgang mit Thüringen sei noch keine Entscheidung gefallen. Die Innenressorts in Brandenburg und Hamburg wollten die Thüringer Entscheidung nicht kommentieren.

          Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, Thüringen sei weiterhin in den Informationsaustausch eingebunden. Es müsse aber die Geheimhaltung mancher Informationen garantieren. Der sachsen-anhaltische Ressortchef Holger Stahlknecht (CDU) hatte wie Caffier die Zusammenarbeit mit Thüringen infrage gestellt und gedroht, den Informationsfluss einzuschränken. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) wiederum bewertete diese Drohung seitens der Union als falsch. Er mahnte aber, man müsse das ernsthafte Gespräch mit Thüringen suchen. Es sei klar, „dass wir uns nicht erlauben können, dass wir in Thüringen quasi einen blinden Fleck für alles Extremistische haben“, sagte Pistorius.

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