Opposition im Kabinett : Warum „Spahnhofer“ Merkel provoziert
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Die schärfsten Merkel-Kritiker: Gesundheitsminister Jens Spahn (l., CDU) mit Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) Bild: dpa
Islam-Debatte, Hartz IV, rechtsfreie Räume, zu lasches Vorgehen gegen Drogendealer: Fast jeden Tag machen Jens Spahn und Horst Seehofer mit kontroversen Aussagen auf sich aufmerksam und reizen die Kanzlerin. Dahinter steckt Kalkül.
Als Angela Merkel im Februar ihre Ministerriege vorstellte, nickten in Berlin viele anerkennend. Dass sie mit Jens Spahn und Horst Seehofer ausgerechnet ihre schärfsten Kritiker ins Kabinett holte, sei ein kluger Schachzug, fanden selbst notorische Merkel-Gegner: Kabinettsdisziplin mit klaren Machtverhältnissen statt freie Radikale, die die Kanzlerin aus München oder dem Münsterland immer sturmreifer schießen – das roch nach einer machtpolitischen Glanzleistung Merkels. Wieder einmal.
Doch schon nach vier Wochen ist dieser Glanz gründlich erloschen – und mit ihm die Hoffnung, sollte Merkel sie je gehabt haben, ihre größten Kritiker am Kabinettstisch zähmen zu können. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Spahn oder Seehofer nicht mit kontroversen öffentlichen Äußerungen auffallen, die viele Konservative in der Union jubeln und die Kanzlerin programmatisch noch variabler erscheinen lassen. Ob Islam-Debatte, Hartz IV, Behördenversagen bei der Verfolgung von Drogendealern oder rechtsfreie Räume: Vor allem bei Spahn geht es in seinen Interviews in den allermeisten Fällen weniger um die Gesundheitspolitik, für die er als Minister eigentlich verantwortlich zeichnet, sondern um die großen konservativen Herzensthemen.
Der 37-Jährige gilt in der CDU als aussichtsreicher Kandidat für die Merkel-Nachfolge, als konservativer Hoffnungsträger mit großen Ambitionen und noch größerem Ego. Sich der Kanzlerin als Minister unterordnen zu müssen und gleichzeitig das eigene konservative Profil für die Zukunft zu schärfen – für Spahn ist das ein Spagat. Auch deshalb legt er in jenen Interviews, in denen er sich vor allem zu anderen Themen als der Gesundheitspolitik äußert, großen Wert darauf, dass er als CDU-Präsidiumsmitglied spricht – also nicht als Minister mit Kabinettsdisziplin, sondern als Parteipolitiker, der zu allen Themen etwas sagen kann.
Noch bevor er Mitte März als Minister vereidigt wurde, trat Spahn in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe eine Debatte über Hartz IV los, als er mit Blick auf die Essener Tafel sagte, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die „Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut“. Die Opposition und der Koalitionspartner waren empört, die Union aber straffte ihre konservativen Reflexe – und Spahn wurde über Nacht zum bekanntesten Quertreiber der Republik. Ein designierter Gesundheitsminister, der in einem Interview kurz vor seiner Vereidigung nicht über Wartezeiten in Arztpraxen oder die Lage des Gesundheitssystems spricht, sondern vor allem über das zentrale innenpolitische Aufregerthema – das war gewagt, ein Risiko für Spahn. Doch die Botschaft, die er damit an die Unionsanhänger sandte, war klar: Nicht die Kanzlerin kümmert sich um die konservative Seele, sondern Jens Spahn. Der Hoffnungsträger.
Spahn redet wie ein Innenminister
Auch in den Wochen danach machte Spahn unmissverständlich klar, dass die Ankündigung, die er Anfang März in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ gemacht hatte – auch als Minister weiter seine Meinung zu sagen – nicht nur bloße Rhetorik war. Zwei Tage nach seiner Vereidigung, in seinem ersten Interview als Minister, redete Spahn in der „Rheinischen Post“ wieder wenig über Gesundheit, dafür aber umso mehr über den Islam, als er dem neuen Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) und seinem Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ beisprang. Ende März forderte Spahn, wieder explizit als „CDU-Präsidiumsmitglied“, vom Ausland unabhängige Moscheen in Deutschland. Wenn der Islam Teil Deutschlands sein solle, müsse die Finanzierung aus dem Ausland ebenso aufhören wie das Modell der aus dem Ausland entsandten Imame, „die kein Wort Deutsch sprechen“, sagte Spahn der „Rheinischen Post“. Im selben Interview forderte er eine Reform des Kinderzuschlags bei Hartz IV – wieder ein ressortfremdes Thema, das Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betrifft, nicht den Gesundheitsminister.