Jena : Jugendpfarrer im Lautsprecherwagen
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Pfarrer Lothar König ist für die junge Gemeinde in Jena verantwortlich Bild: OTZ
Die Polizei durchsucht die Dienstwohnung eines Jenaer Jugendpfarrers. Der Vorwurf: Er habe bei einer Demonstration gegen Neonazis zum Landfriedensbruch aufgerufen. Der Streit um die sächsische Sicherheits- und Rechtspolitik ist neu entbrannt.
Von den Plakaten an den Wänden der evangelischen Jungen Gemeinde im thüringischen Jena springt der Protest gegen die Justiz im sächsischen Dresden: „1, 2, 3 lasst Lauti frei.“ „Lauti“ ist der Kosename eines Lautsprecherwagens, jenes blauen VW-Kastenwagens, mit dem sich Jenas Jugendpfarrer Lothar König einmischt, wo er und seine Jugendlichen sich herausgefordert sehen.
Gemeinsam mit dem Auto und seiner Besatzung - Kartenleser, Techniker, Musiker, Kameramann - demonstriert König gegen Atomkraft, G-8-Gipfel und Neonazis. Die Einmischung ist für ihn zugleich Abenteuer. König erzählt davon wie ein Aktionskünstler, der als Dramaturg und Regisseur den Widerstand in Szene setzt: „Wir sind nicht neutral. Wir unterstützen die Demonstranten, wir fahren dazwischen, damit es nicht zur Konfrontation kommt. Und wir stellen Öffentlichkeit her: Herr Polizist, das ist verboten!“
Gewalt gegen Personen und Gegenstände
Mit dem Auto war König am 19. Februar in Dresden, als es am Rande eines Aufmarsches von Rechtsextremisten zwischen diesen und den Gegendemonstranten zu Krawallen kam, in deren Verlauf mehr als 100 Polizisten verletzt wurden. König wird vorgeworfen, dass aus seinem Lautsprecherwagen zu Gewalt gegen Personen und Sachen aufgerufen worden sei. Auch sollen aus einer Menschenmenge, die der Wagen dirigiert habe, Steine auf Polizisten geworfen worden sein. Außerdem sollen sich in dem Wagen Gegendemonstranten dem Zugriff der Polizei entzogen haben.
Wegen dieses Einsatzes in Dresden kam die sächsische Polizei am 10. August ins thüringische Jena, durchsuchte die Dienstwohnung des Pfarrers, beschlagnahmte das Fahrzeug und entfachte damit abermals den Streit zwischen Opposition und Regierung um die sächsische Sicherheits- und Rechtspolitik aufs Neue. Auslöser war die so genannte „Handy-Affäre“: Nach den Krawallen im Februar hatte die sächsische Polizei über Funkzellenabfragen mehr als eine Million Verbindungsdaten von Mobiltelefonen gesammelt. Ein Computersystem hat die Verbindungsdaten analysiert; mehr als 40.000 Bestandsdaten wurden erhoben. Bestandsdaten enthalten neben den Telefonnummern auch Namen und Adressen der Handy-Besitzer.
Weil mehr als doppelt so viele Telefonierer erfasst wurden wie Demonstranten auf der Straße waren, spricht die Opposition von der „Unverhältnismäßigkeit der Ermittlungen“ und äußert den Verdacht, dass nicht die kleine Gruppe der Gewalttätigen gefunden, sondern die große Zahl der „friedlichen Blockierer“ ausgeforscht werden sollte. Die Landesregierung hingegen spricht von modernen, richterlich genehmigten Ermittlungsmethoden, die auch schon bei anderen kriminellen Taten zum Erfolg geführt hätten. Auch nach dem Anschlag auf die Heeresoffiziersschule in Dresden vor zwei Jahren ist diese Technik zum Einsatz gekommen, allerdings bisher ohne Erfolg.
Das Misstrauen schwelt weiter
Neue Nahrung erhielt der Streit, als sächsische Polizisten in Thüringen die Diensträume des Jugendpfarrers König durchsuchten. Dem 57 Jahre alten Pfarrer werden „aufwieglerischer Landfriedensbruch“ und Strafvereitelung vorgeworfen. Jüngst hat sich der Innen- und Rechtsausschuss des Sächsischen Landtages mehr als sechs Stunden lang mit der Angelegenheit befasst. Die anfängliche Empörung über den Einsatz sächsischer Polizisten in Thüringen hat sich jedoch gelegt. Es gab Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Behörden. Faxe sind offenbar an falsche Nummern gesendet und nicht weitergeleitet worden.
Der Einsatz an sich war aber rechtens, der Wortwechsel zwischen den Ländern ist inzwischen moderater geworden. Die Beschuldigungen gegen Pfarrer König wegen „aufwieglerischen Landfriedensbruchs“ sollen sich auf Video-Aufnahmen stützen. Diese Aufnahmen wurden aber dem Ausschuss nicht gezeigt - was den Zweifel der Opposition nährt, ob es sie überhaupt gibt. Ein Ermittlungsverfahren gegen König wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“, das seit dem 7. Februar lief, ist am 19. August eingestellt worden. Den Grünen-Abgeordneten Lichdi veranlasste dies zu der Frage, „ob der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung nur konstruiert wurde, um König abhören zu können“. Das Misstrauen schwelt weiter.