Ja zur Groko : Bloß kein Triumphgeheul
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239602, 239603, 239604: Die Auszählung in der SPD-Zentrale unter den Augen von Andrea Nahles, Olaf Scholz und Lars Klingbeil Bild: Getty
Als das Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums verkündet wird, ist es plötzlich still – zwar herrscht Erleichterung, doch verkneift man sich jeden Jubel: Wunden müssen heilen.
Atmosphärisch könnte der Unterschied kaum größer sein. Vor vier Jahren feierte Sigmar Gabriel einen seiner größten Momente als Parteivorsitzender. Über Wochen hatte er die SPD nach der Wahlniederlage im September 2013 Schritt für Schritt in Richtung Regierungsbeteiligung geführt. Auch damals schien der Widerstand groß – vor allem unter den Funktionären. Doch Gabriel kannte seine Genossen an der Basis und genoss nun den Triumph: Fast 78 Prozent der Mitglieder hatten sich an dem Votum über den Eintritt in die Regierung unter Angela Merkel nach vier Jahren in der Opposition beteiligt. Und 76 Prozent stimmten dafür. Gabriel zeigte sich unter dem Jubel der Sozialdemokraten in der „Station“ am Berliner Gleisdreieck gerührt: Noch nie sei er so stolz auf seine Partei gewesen, sagte er.
Vier Jahre später herrscht nüchterne Geschäftigkeit vor. Allenfalls die Gefühlsregung der Erleichterung will man nicht verbergen. Auf jedes Triumphgeheul soll aber verzichtet werden. Als Dietmar Nietan, der Schatzmeister der Partei, der in der Nacht als Chef der Mandatsprüfungs- und Zählkommission das Auszählverfahren gemeinsam mit einem Notar überwachte, am Sonntagmorgen im Willy-Brandt-Haus gemeinsam mit Olaf Scholz, dem kommissarischen Parteivorsitzenden, das Atrium betritt, gibt es nur kräftigen Applaus, als er den 120 Helfern für ihre Arbeit dankt. Bei der eigentlichen Verkündung des Ergebnisses bleibt es auffallend still. Spiegelt die Stimmung die Gefühlslage wider? Oder hatte man die vielen Mitarbeiter, die sich nun auf der Treppe und auf den Emporen der Etagen verteilt haben, darum gebeten, sich zurückzuhalten?
Ganze 66,02 Prozent Zustimmung aus der Basis
239604 SPD-Mitglieder stimmten mit Ja, 123329 mit Nein. „Das entspricht einer Zustimmung von 66,02 Prozent“, sagt Nietan. Keine Hand rührt sich. Er übergibt das Wort an Scholz, den für neue Sachlichkeit zuständigen Sozialdemokraten: Die Mitglieder der SPD seien „mit sehr großer Mehrheit“ dem Vorschlag des Parteivorstands gefolgt. Sodann: „Wir haben jetzt Klarheit. Die SPD wird in die nächste Bundesregierung eintreten.“ Die Sozialdemokratische Partei habe sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. Offen und transparent habe sie in den vergangenen Wochen über die Inhalte des Koalitionsvertrages diskutiert. Scholz spricht nun von „wichtigen, spannenden Debatten“. Schließlich: In der Diskussion seien die Sozialdemokraten „weiter zusammengewachsen“. Und das verschaffe der SPD nun die Kraft, die sie brauche, um als Partei in der Regierung voranzukommen und das Land auf den richtigen Weg zuführen. Auch gebe ihr das die Kraft für den „Prozess der Erneuerung“.
Übersetzt man diese diplomatischen Ausführungen ins Normaldeutsch, lautet die Botschaft von Scholz in etwa: Puh! Immerhin 66 Prozent! Zwei Drittel! Mehr, als man in der Parteispitze zwischenzeitlich befürchtet hat. Aber: zehn Prozent weniger als vor vier Jahren. Die vergangenen Wochen, in denen die SPD demoskopisch schon einmal in den Abgrund blicken durfte, haben eine tiefe Spaltung der Partei offenbart. Diese gilt es zu überwinden. Auch wenn bald der Regierungsalltag einzieht – die Anliegen der Partei werden nicht vergessen. Versprochen!
Legt man diese Übersetzung zugrunde, wird verständlich, warum der Applaus ausgeblieben ist, von Jubel einmal ganz zu schweigen. Ein Drittel der Beteiligten haben gegen den Koalitionsvertrag und damit gegen die neuerliche große Koalition gestimmt. Und unter den zwei Dritteln, die dem Kurs der Führung folgten, sind – das haben die offenen und transparenten Diskussionen der vergangenen Wochen offenbart – viele Zweifler, welche die SPD in einem fatalen Dilemma wähnten und im Grunde nur mit Ja stimmten, weil sie in diesem Schritt eine lebensverlängernde Maßnahme sahen. Vollständige Genesung versprechen viele sich von dieser Entscheidung nicht. Das Drittel der Groko-Gegner und die anderen Zweifler wollte die Parteiführung nicht durch Siegestaumel provozieren. Die Strategie ist ein erster Schritt zur Befriedung der Partei.