Islamisten-Prozess : Haftstrafen für Dschihadisten in Stuttgart
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Zwei der Angeklagten umarmen sich im November im Oberlandesgericht in Stuttgart. Bild: dpa
In Stuttgart sind drei Islamisten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der Hauptangeklagte an Kämpfen in Syrien teilgenommen hat.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat im Dschihadisten-Prozess den Hauptangeklagten Ismail I. zu einer Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Sohn einer aus Syrien stammenden Familie aus Stuttgart war am 13. November 2013 durch seine Festnahme an einer abermaligen Ausreise ins syrische Kriegsgebiet gehindert worden. Die Mitangeklagten, Ezzeddine I. und Mohammad Sobhan A., wurden zu Haftstrafen von drei Jahren beziehungsweise zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Beiden wird die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, sie hatten Ismail I. bei der Vorbereitung seiner Reise nach Syrien unterstützt.
Der Vorsitzende Richter des sechsten Strafsenats sah es in seiner Urteilsbegründung als erwiesen an, dass Ismali I. Mitglied der islamistischen Organisation „Jamwa“ war, im Sommer 2013 freiwillig an Kampfhandlungen in Syrien teilnahm und sich zuvor an der Kalaschnikow vom Typ „AK47“ zum Dschihadisten hat ausbilden lassen. Zur Begründung zitierte er ausführlich aus Telefongesprächen und Internet-Chats des Angeklagten: „Wir haben krasse Sachen gemacht“, er habe „brutal viel losgeschickt“, schrieb Ismail I. seinen Freunden zum Beispiel über den Internetdienst „WhatsApp“. Wenn im Chat von „Arbeit“ gesprochen worden sei, so der Richter, dann habe der Angeklagte damit Kampfhandlungen gegen das Assad-Regime gemeint. Außerdem führte er als belastenden Beweis für die Teilnahme Ismails am Dschihad ein Video an, in dem dieser kniend mit einer Kalaschnikow und dem erhobenen „Tauhid-Finger“ zu sehen gewesen sei. Mit dem erhobenen Zeigefinger rufen Salafisten zur Zerstörung der westlichen Welt auf.
Den Behauptungen des Angeklagten, er sei aus „humanitären Gründen“ ins Kriegsgebiet gereist, er habe dort nur „Brot und Wasser“ verteilen wollen, schenkte das Gericht keinen Glauben. Ebenso wenig seiner Behauptung, er sei eigentlich unfreiwillig in das Ausbildungslager der Jamwa (Jaish al Muhajirin wal Ansar) geraten, die damals noch nicht vollständig in die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) integriert war. Die Jamwa ist eine Vereinigung von tschetschenischen Dschihadisten, die erst im Laufe des Jahres 2013 im IS aufging.
Die „Gesamtschau“ der Äußerungen des Angeklagten, so das Gericht, zeige deutlich, dass Ismail I. „von Anfang an Kampfhandlungen“ gewollt habe. Der Kauf von Nachtsichtgeräten, Medikamenten zum Blutstillen sowie militärischer Ausrüstung spreche für ein zielgerichtetes Vorgehen des Angeklagten. Ismail hatte außerdem Kontakt zu den bekannten islamistischen Hasspredigern Pierre Vogel und Sven Lau, letzterem überwies er im September 2013 sogar einmal 250 Euro. Strafmildernd wertete das Gericht allerdings die Aussagen des Angeklagten, die später zur Festnahme von zwei weiteren Dschihadisten geführt hatten.
In der Hauptverhandlung des seit November 2014 geführten Strafprozesses war deutlich geworden, dass Ismails Hinwendung zum Dschihadismus auch die Folge von zahlreichen persönlichen und beruflichen Problemen war: 2011 war seine Ehe gescheitert, er brach die Berufsausbildung ab, begann mit einem, wie er selbst an einem Verhandlungstag sagte, „selbstzerstörerischen Drogenkonsum“. Ein psychiatrischer Gutachter hatte Ismails Persönlichkeit als „schwach“ und „unfertig“ bezeichnet. Als Lösung bot sich für Ismail offenbar die religiöse Radikalisierung an, die er wie eine „Entgiftung“ empfunden haben will. Er lernte einen deutschen Konvertiten kennen, der ihn vom Islam überzeugte und dazu brachte, im Sommer 2013 eine Pilgerfahrt nach Mekka zu machen. Von dort kehrte er mit Kontakten zu Islamisten und einer Einkaufsliste für militärisches Gerät zurück.
Ismail I. wuchs in Dänemark und Stuttgart-Wangen auf, seine Familie soll vom Assad-Regime schon in den achtziger Jahren verfolgt worden sein. Sie war später in den Libanon ausgewandert. Am 13. November 2013 hatte ihn die Polizei in der Nähe einer Autobahnraststätte auf der Schwäbischen Alb festgenommen und in letzter Sekunde verhindert, dass er mit seinem Mitangeklagten Sobhan A. in den Dschihad ziehen konnte. Der Hinweis auf die geplante Ausreise ins Kriegsgebiet stammte allerdings nicht vom Verfassungsschutz oder der Polizei, sondern von einem aufmerksamen Verkäufer eines Stuttgarter Jagd- und Waffengeschäfts.
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat im Dezember 2014 ein IS-Mitglied wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, dem Berliner Kammergericht und dem Oberlandesgerichten Düsseldorf und München müssen sich derzeit mehrere Islamisten für ihre Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen verantworten.