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Islamkonflikt in der Union : Der Streit hat gerade erst begonnen

Gemeinsam gegen die Kanzlerin: Horst Seehofer und Andreas Scheuer Bild: dpa

Die CSU kämpft mit der CDU um den Islam – und will der AfD so bis zur Landtagswahl das Wasser abgraben. Der Streit droht die Union allerdings noch länger zu beschäftigen.

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          Der Friede währte nur kurz. Gerade hatten CDU und CSU ihren Streit zur Flüchtlingspolitik und zur vermaledeiten Obergrenze mit einem Formelkompromiss im Koalitionsvertrag scheinbar endgültig beendet, da ist der Konflikt zwischen den Schwesterparteien neu ausgebrochen. Es geht um den Islam, darum, ob er zur Deutschland gehört oder nicht. Der neue Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sagte gleich zu Beginn seiner Amtszeit laut „nein“, die Kanzlerin im Bundestag ebenso laut „doch“. Am Dienstag hat Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister und zuvor CSU-Generalsekretär, noch einmal „nein“ gesagt. Er fügte ein Argument eigener Art hinzu: „Das ist ein Fakt.“

          Markus Wehner
          Politischer Korrespondent in Berlin.

          Scheuer reagierte damit auf einen Schwall von Kritik, den Seehofer in den Ostertagen aus den Reihen der CDU abbekommen hatte. Die Diskussion, die der Innenminister losgetreten habe, sei „fruchtlos“ und „taktisch motiviert“, sagte etwa CDU-Mann Norbert Röttgen. In der Praxis habe sie „null Bewandtnis“, die ganze Debatte sei „vollkommen für die Katz“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Und fragte: Solle man jetzt etwa alle Moscheen in Deutschland abbauen?

          Schmerzhafte Kritik von Schäuble

          Am schmerzlichsten für Seehofer, der „keinen Jota“ von seiner Haltung abrücken will, mögen die Äußerungen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gewesen sein. Der gilt auch in der CSU etwas, ist bekannt dafür, dass er der Kanzlerin nicht nach dem Mund redet. Den Gang der Geschichte könne man nicht aufhalten, sagte Schäuble, der als erster Innenminister einer Regierung Merkel 2006 die Deutsche Islam Konferenz ins Leben gerufen hatte. „Alle müssen sich damit auseinandersetzen, dass der Islam ein Teil unseres Landes geworden ist.“ Alle, soll heißen: auch Horst Seehofer. Der will nach eigenem Bekunden die Islam Konferenz auch weiterführen.

          Vermittelnde Äußerungen in dem Streit sind selten. Eine kam am Dienstag von Gerd Müller, dem Entwicklungsminister von der CSU, der kraft seines Amtes oft in islamisch geprägte Länder reist. Er wies darauf hin, dass die Religionen in Deutschland im Großen und Ganzen sehr friedlich miteinander lebten. „Der radikale Islam, der auf die Scharia baut und unsere Rechtsordnung leugnet, gehört deswegen auch nicht zu Deutschland.“ Müller, ein zur Mäßigung neigendes Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, hätte auch sagen können: Islam ja, Islamismus nein. Doch das wäre von der Wortwahl her zu weit von der ausgegebenen Parteilinie entfernt gewesen.

          Die Uneinigkeit schadet beiden Parteien

          Der Streit droht die Union dauerhaft zu beschäftigen – und auch zu beschädigen. So war es im vergangenen Jahr, als die CSU wegen des Obergrenzen-Konflikts sogar damit gedroht hatte, auf ein gemeinsames Wahlprogramm mit der Schwester zu verzichten. Der Streit ging bis ins Absurde, etwa in der Frage, in welcher Stadt die „Friedensverhandlungen“ vor der Wahl stattfinden sollten. Letztlich schadete die Uneinigkeit beiden Parteien.

          Hinter dem Streit um den Islam steht wieder der grundsätzliche Konflikt um die Frage, wie der AfD beizukommen ist. In der CDU überwiegt die Ansicht, dass die Rechtspopulisten auf ihrem eigenen Feld nicht zu schlagen sind. Wer ihre Parolen aufnehme, sich gar in einen Überbietungswettbewerb begebe, der mache die AfD nur stärker. Ein Teil der AfD-Wähler sei eben für die CDU verloren. Die CSU hingegen besteht darauf, dass der rechte Rand zu großen Teilen zurückgewonnen werden kann. Wer die Probleme negiere, die die AfD anspricht, der bereite ihr den Boden. Die CSU verweist gerne auf eine Umfrage, nach der 77 Prozent der Befragten in Bayern der Aussage Seehofers über den Islam zustimmten.

          Wer recht hat, das ist schwer zu sagen: Bei der Bundestagswahl holte die AfD in Bayern 12,4 Prozent; heute steht sie in Umfragen beim selben Wert. Die CSU hat sich zwar von den für sie niederschmetternden 38,8 Prozent in der Bundestagswahl erholt und erreicht heute um die 43 Prozent. Doch in einem Sechs-Parteien-Parlament, in dem neben SPD, Grünen und AfD die Freien Wähler und die FDP vertreten wären, wäre die angestrebte absolute Mehrheit kaum zu erreichen. Das gute halbe Jahr, das vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober liegt, ist, wie CSU-Generalsekretär Markus Blume der Deutschen Presse-Agentur sagte, „eine ganz entscheidende Zeit“. Es gehe um „die alles entscheidende Wahl“. Die Chance, dass der neue Streit zwischen den Unionsparteien vorher beigelegt wird, steht also schlecht. Abgerechnet wird am Wahltag. Dann wird die CSU auch über das weitere Schicksal von Horst Seehofer entscheiden.

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