Front gegen Erdogan-Referendum : Hayir – Nein!
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Gegen das türkische Referendum: „Hayir“, das türkische Wort für „nein“, wurde auf die Wand des Hamburger Plaza Event Centers gesprayt. Bild: Reuters
Erdogans Minister kämpfen in Deutschland für ihre Verfassungsreform. Sie haben viele Anhänger in Deutschland. Aber es gibt auch Türken, die das ganz anders sehen.
Ende Januar geschah etwas Ungewöhnliches im Hessischen Landtag. Turgut Yüksel, vor sechzig Jahren in Anatolien geboren, SPD-Abgeordneter, starrte auf seinen Laptop. Die türkische Regierung hatte gerade den Termin für das Referendum über ein Präsidialsystem bekanntgegeben. Yüksel sah sich dazu ein Video an, in dem Regierungspolitiker denen von der Opposition an die Gurgel gehen, um das Referendum durchzusetzen. Er drehte den Bildschirm zu seiner Nachbarin im Plenum. „Guck dir mal den Unterschied an, wie es hier läuft und dort“, sagte Yüksel. „In der Türkei wird es nach dem Referendum keinen Raum mehr für andere Meinungen geben.“
Die Nachbarin war Mürvet Öztürk, vor 44 Jahren am Niederrhein geboren, Tochter kurdischer Eltern. Sie ist Mitglied der Grünen, hat deren Landtagsfraktion aber im Streit verlassen. Öztürk ist nicht konfliktscheu, doch bei den Bildern aus Ankara fasste sie sich an den Kopf. „Wir müssen etwas dagegen tun“, sagte sie zu ihrem Kollegen, „wir können da nicht einfach zusehen.“ Und so wurde während einer Landtagsdebatte in Wiesbaden eine Kampagne gegen die türkische Verfassungsänderung geboren.
Referendum in der Türkei : Der Kampf um Stimmen in Deutschland
Es ist nicht die einzige in Deutschland, es gibt viele lokale Aktionen und auch den Wahlkampf der türkischen Opposition. Aber die Nein-Initiative Hessen ist wohl am besten organisiert und zugleich überparteilich. Öztürk und Yüksel haben die deutschtürkische Zivilgesellschaft um sich versammelt, ein breites Bündnis, wie es das vorher noch nie gab. Sie wollen beweisen, dass es unter den Türken und Türkischstämmigen hierzulande nicht nur die Jasager gibt, die Erdogan unterstützen und sein autoritäres System.
Offenbar zweifelt die türkische Regierung selbst am Sieg
Den Jubel-Türken gehörte bisher alle Aufmerksamkeit. Tausende feierten ihren Ministerpräsidenten, als er Mitte Februar in der Arena von Oberhausen auftrat. Ein paar hundert applaudierten diese Woche, als der türkische Außenminister auf dem Balkon seines Hamburger Generalkonsuls zu ihnen sprach – eine Szene, die an Genschers berühmten Auftritt in Prag erinnerte. Aber die Zuhörer standen freiwillig da. Und der Minister verkündete schlechte Nachrichten: Türkische Staatsbürger würden in Deutschland systematisch unterdrückt. Im Interview sagte er noch: wie in der Nazizeit.
Das ist der Ton, den Staatspräsident Erdogan und seine Getreuen anschlagen. Sie haben sich das angeblich so unterdrückerische Land als eines der wichtigsten Schlachtfelder für ihr Referendum ausgesucht. Ein Minister nach dem anderen reist an. Bis Mitte April seien noch dreißig weitere Veranstaltungen geplant, kündigte der Außenminister an. Offenbar zweifelt die Regierung selbst am Sieg. Schließlich setzt sie nicht nur die Beziehungen zu Deutschland aufs Spiel. Sie bricht sogar türkisches Recht. Denn das untersagt den Wahlkampf im Ausland, zumal in Auslandsvertretungen.
Sigmar Gabriel, der deutsche Außenminister, wandte sich diese Woche mit einem Appell an die Türken in Deutschland: „Was immer wir an politischen Differenzen haben, wir dürfen es nicht zulassen, dass politische Auseinandersetzungen aus der Türkei nach Deutschland importiert werden.“ Das war sicher gut gemeint, und früher hat das auch lange so funktioniert. Jetzt nicht mehr. Der Wahlkampf auf deutschem Boden findet bereits statt, auch weil die Bundesregierung Ankara von Anfang an gewähren ließ, die Kanzlerin ebenso wie ihr Außenminister. Es geht jetzt um etwas anderes: darum, wer diesen Kampf gewinnt.