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Homosexualität : Kirchen erhoben schon früh Einspruch gegen Bildungsplan

Schulunterricht in Baden-Württemberg: Über den Bildungsplan gibt es Streit. Bild: dpa

Die evangelische Landeskirche hat den Entwurf eines neuen Bildungsplans im baden-württembergischen Kultusministerium schon früh kritisiert – und nicht nur wegen der Verankerung des Themas „Sexuelle Vielfalt“.

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          Der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch (SPD) ist nach Informationen dieser Zeitung von der württembergischen evangelischen Landeskirche schon Mitte Dezember auf die umfangreichen Mängel des künftigen Bildungsplans aufmerksam gemacht worden. Das geht aus Unterlagen hervor, die dieser Zeitung vorliegen. Dabei handelt es sich nicht allein um Kritik an der Verankerung des Themas „Sexuelle Vielfalt“, sondern auch an anderen Leitprinzipien des neuen Bildungsplans für die Orientierungsstufe (fünfte und sechste Klasse).

          Rüdiger Soldt
          Politischer Korrespondent in Baden-Württemberg.

          Konstatiert wird das Fehlen eines „eindeutig erkennbaren anthropologischen Referenzrahmens“. Kritisiert wird auch, dass nicht erkennbar sei, welches Menschenbild den Entwürfen zugrunde liege. Die ersten Entwürfe der Leitprinzipien des Bildungsplans seien nur eine „additive Zusammenstellung“ von Einzelthemen, auch seien Forderungen von Lobby-Verbänden „unkritisch“ übernommen worden. Weiter heiß es: „Einen besonders breiten Raum nimmt das Thema sexuelle Orientierung für die Klassen 1-12 ein. In welchem Verhältnis steht dies zu dem berechtigten Anliegen, das Thema Diskriminierung aufzugreifen. Braucht es dazu das Sprachkürzel der ,Gender-Ideologie’?“

          Dieser Eindruck drängt sich bei der Lektüre des Arbeitspapiers auf. Im Abschnitt „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ heißt es zum Beispiel: „Schülerinnen und Schüler kennen die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit LSBTTI-Menschen und reflektieren die Begegnungen in einer sich wandelnden, globalisierten Welt.“ „LSBTTI“ ist das Kürzel von Gender-Theoretikern, gemeint sind Menschen mit einer lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender- oder intersexuellen Identität. Ausführungen zu Ehe und Familie finden sich dagegen noch nicht in den Entwurfspapieren.

          „Einige unglückliche Formulierungen“

          Der Sprecher des Kultusministeriums sagte dazu: „Das ist ein Thema des Beirats, die Erarbeitung des Bildungsplans ist ein Arbeitsprozess.“ Deshalb habe der Minister auf den Brief der Kirche auch zunächst nicht reagiert. Die evangelische und die katholische Kirche distanzierten sich am Wochenende von Darstellungen, wonach sie die Behandlung des Themas Homosexualität im Schulunterricht ablehnten. Es gehe vielmehr um den Stellenwert der Homosexualität sowie das Menschenbild der Bildungspläne.

          Aus dem Protokoll einer Beiratssitzung vom November vergangenen Jahres, das dieser Zeitung vorliegt, geht allerdings hervor, dass über die fünf Leitprinzipien (Berufliche Orientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung, Verbraucherbildung) von der Amtsspitze des Kultusministeriums bereits entschieden worden sei. Weitere wichtige Themen wie kulturelle Bildung, Demokratieerziehung oder Friedenserziehung sollten prominent verankert werden.

          Die bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, Sandra Boser, bezeichnete einige Formulierungen des Arbeitspapiers als „unglücklich“. Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Claus Schmiedel, selbst früher als Berufsschullehrer tätig, sagte dieser Zeitung: „Es geht doch um die Vermittlung von Werten“. Jeder solle seine Individualität leben können, das gelte auch für Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung. Er habe Zweifel, ob man für diese Wertevermittlung auf die Gender-Theorie zurückgreifen müsse.

          Nur ein Zwischenstand?

          In den Regierungsfraktionen wird die handwerkliche Qualität des Papiers, das vom Landesinstitut für Schulentwicklung vorgelegt wurde, kritisiert. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei, sagte: „Das Papier ist ein Zwischenstand, an dem handwerklich stark gearbeitet werden muss.“ Wenn Bildung die Stärkung der gesamten Persönlichkeit meine, gehörten dazu auch die Vermittlung von Wertvorstellungen, Maßstäben, Toleranz und ein Bewusstsein von Pluralität – das sei allerdings schon in den Bildungsplänen aus dem Jahr 2004 so gewesen, sagte der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Georg Wacker.

          Der baden-württembergische SPD-Landesverband bekannte sich am Wochenende in einer Resolution zu den Plänen des Kultusministers. Einige „homo- und transphobe“ Äußerungen einiger Unterstützer der Internet-Petition „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens“ seien „erschütternd“ und zeigten, wie wichtig es sei, ein Klima der Akzeptanz und Offenheit zu schaffen. Selbstverständlich bleibe das christliche Menschenbild, wie es in der Landesverfassung und im Schulgesetz formuliert sei, die Grundlage des neuen Bildungsplans. Die Aspekte „Familie, Eltern und Ehe“ würden in den neuen Bildungsplänen wie bisher verankert.

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