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Helmut Schmidt und Hamburg : Das Orakel von Langenhorn

Bei der Stimmabgabe in Hamburg zur Bundestagswahl 1976: Helmut und Hannelore „Loki“ Schmidt Bild: Picture-Alliance

Wie kein anderer Politiker verkörperte der geborene Hamburger Helmut Schmidt das Bild des Hanseaten. Ein Mann, der mit kühlem Kopf Krisen meisterte und die Vernunft als Maßstab politischen Handels nahm.

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          Helmut Schmidt gehörte noch zu jenen hamburgischen Hanseaten, die sprachlich herrlich über den spitzen Stein zu stolpern wussten. Und er war der einzige Hamburger – abgesehen von Loki, seiner 2010 gestorbenen Ehefrau –, der seine Menthol-Zigaretten rauchen durfte, wo immer es ihm beliebte, bei Bedarf auch im Theater.

          Frank Pergande
          Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Das Verhältnis zwischen Schmidt und seiner Heimatstadt ließe sich als große, geradezu maßlose Zuneigung beschreiben, wäre so etwas nicht undenkbar wegen der hanseatischen Verhältnisse mit ihrem Gebot des Understatements. Schmidt war geborener Hamburger, und in seiner Heimatstadt ist er nun auch gestorben. Hamburg war zeitlebens sein Wirkungsfeld, sieht man von den Bonner Jahren ab, freilich seinen wirkungsmächtigsten.

          Er galt als „Orakel von Langenhorn“, was auf sein Wohnhaus in Hamburg-Langenhorn anspielte. Ursprünglich war es nur eine Haushälfte, die er Anfang der sechziger Jahre für 128.000 Mark erworben hatte. In dem Haus gingen während Schmidts Kanzlerschaft die Staatsgäste ein und aus. Und schon seit längerem galt Schmidts Wohnsitz als eine der Hamburger Sehenswürdigkeiten. Als bekannt wurde, wie schlecht es Schmidt geht, versammelten sich vor seinem Haus sogleich viele Menschen.

          In die Geschichte der Hansestadt ging Schmidt ein, als er Innensenator war und in diesem Amt 1962 zum Krisenmanager bei der verheerenden Sturmflut wurde. Er scheute sich damals nicht, auch die Bundeswehr anzurufen, obwohl es an der rechtlichen Grundlage dafür fehlte. Senator blieb er bis 1965.

          Als aufstrebender, ehrgeiziger Politiker schrieb er in dieser Zeit auch jenen berühmten „Brief an Hamburger Freunde“, dessen Autorenschaft lange Zeit geheim gehalten wurde und der noch heute verblüfft, weil er so aktuell ist: „Zwar ist immer noch ganz Hamburg stolz auf seine Schiffe; die aus Eimsbüttel genauso wie die von der Elbchaussee, Sozialdemokraten und Konservative gleichermaßen. Aber in Wahrheit neigt sich die große Zeit des Primats von Hafen und Überseehandel. Die Hamburger starren auf die Häfen von Rotterdam und Bremen – aber sie lassen es geschehen.“

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          Das „Orakel von Langenhorn“ wurde nicht nur zu weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Themen befragt, sondern gern auch zu hamburgischen Lokalfragen. Und wenn es nicht befragt wurde, meldete es sich von selbst.

          Es war Schmidt, der vor zehn Jahren die Bebauung des Domplatzes mit einem Gebäude ganz aus Glas verhinderte. Die Pläne wurden öffentlich, Schmidt sprach sogleich sein Verdikt, der Plan war erledigt. Damals saß er noch regelmäßig im Nachbargebäude, der Redaktion der „Zeit“.. Als Hamburger an Backsteinarchitektur geschult, wäre ihm beim Blick aus dem Fenster ein Glaskubus unerträglich gewesen.

          So war es oft. Egal was Schmidt sagte, es galt, selbst in der Zeit des CDU-Senats. Und welch Hamburger hat schon zu Lebzeiten derart viele Ehrungen erfahren wie Schmidt. Seit 1983 war er Ehrenbürger der Stadt und Ehrensenator der Universität. Aber auch die Bundeswehr-Universität in der Stadt heißt nach ihm, seit 2012 sogar ein Gymnasium im Stadtteil Wilhelmsburg.

          Zu seinem 95. Geburtstag gratulierten die Stadtbusse mit der Aufschrift: „Glückwunsch, Helmut Schmidt“. 2011 erschien ein Buch über „Helmut Schmidt und seine Heimatstadt“. Eigentlich gab es nur eine Person, die bei so vielen Ehrungen mithalten konnte: Ehefrau Loki. Nach Loki Schmidt sind diverse Pflanzen und Tiere benannt, nach Helmut Schmidt hingegen nur eine Rose. Schmidt war auch einer der wenigen Ehrenbürger von Schleswig-Holstein, wo er seinen Zweitwohnsitz in Brahmsee hatte. Er galt den Hamburgern und wohl auch weit über Hamburg hinaus als der Hanseat par excellence. Deshalb lässt sich im Wortsinn über seinen Tod sagen: Ein Stück Hamburg ist gegangen.

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