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Verfassungsschutz : Auf dem rechten Auge blind?

Rechtsextreme ziehen im September 2018 durch den Ort Köthen in Sachsen-Anhalt. Bild: dpa

Im Mordfall Lübcke sieht der Verfassungsschutz bisher nicht gut aus. So werden Daten erst als verschwunden gemeldet, um dann doch wieder aufzutauchen. Doch das Problem reicht noch weiter, denn die Behörde strahlt Schwäche aus.

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          Der Verfassungsschutz gebärdet sich in diesen Tagen wie ein Greis, der seine Brille sucht. Wo hat er sie nochmal hingelegt? Bestimmt findet er sie gleich. Leider eilt die Sache etwas, die betrachtet werden soll: Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde durch einen Kopfschuss getötet, unter dringendem Mordverdacht steht der 45 Jahre alte Deutsche Stephan E. Die Nationalität muss hier genannt werden, denn es besteht ein „begründetes öffentliches Interesse“ (Pressekodex). Der Deutsche E. also ist den Behörden in der Vergangenheit aufgefallen durch Kontakte in die Neonazi-Szene, er wurde geführt als „gewaltbereiter Rechtsextremist“, vielfach vorbestraft. Nun soll er ein politisches Attentat verübt haben. Was hat der hessische Verfassungsschutz über ihn zu sagen?

          Vor allem schweigt er. So etwa zu der Frage, warum er E. nicht genauer im Blick hatte. Brille verlegt? Vor zehn Jahren wurde E. offenbar zuletzt aktenkundig, da attackierte er mit anderen Neonazis eine Gewerkschaftskundgebung. Danach soll er nicht mehr auffällig geworden sein. Deshalb seien, so die hessischen Verfassungsschützer, sämtliche Daten über ihn aus dem nachrichtendienstlichen System gelöscht worden. Diese Behauptung musste richtiggestellt werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz: Die Daten seien durchaus noch da. Dann ist ja gut.

          Oder auch nicht. Es scheint so, als sei Stephan E. in den vergangenen zehn Jahren durchaus auffällig geworden. Es fiel bloß keinem auf. Am Freitag veröffentlichte das ARD-Magazin „Monitor“ Recherchen, wonach Stephan E. noch im März dieses Jahres eine Veranstaltung von Rechtsextremen in Mücka, Sachsen, besuchte. Dort wurde er mit Mitgliedern der neonazistischen Organisationen „Combat 18“ und „Brigade 8“ fotografiert. „Combat 18“ – die 18 ist ein Code für Adolf Hitler – gilt als bewaffneter Arm des verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood&Honour“. In einschlägigen Versandhäusern sind T-Shirts erhältlich, auf denen der Schriftzug „Combat 18“ ergänzt ist durch ein Maschinengewehr und das Wort „Terrormachine“.

          Mit Kunden, die so etwas kauften, leben viele Deutsche Tür an Tür. Sie müssen darauf hoffen, geschützt zu werden. Zum Beispiel vom Verfassungsschutz. Der hat es nicht leicht, denn die Zahl der Gefährder ist hoch: 12.700 gewaltorientierte Rechtsextremisten leben in Deutschland, und der neue Verfassungsschutzpräsident Haldenwang sagt zu recht, es sei „schier unmöglich“, sie alle rund um die Uhr im Blick zu haben. Das klingt allerdings so, als gehe jeder der 12.700 seiner Wege und habe mit den anderen 12.699 nichts zu tun. Das Gegenteil ist der Fall. Die Rechtsextremen vernetzen sich in Kameradschaften; und seit ein paar Jahren auch im Internet, in geheimen Facebookgruppen, Foren, Chats. In einem Chat soll Stephan E. Ermittlern zufolge Lübcke einen „Volksverräter“ genannt haben.

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