Verfassungsänderung : Aussterbende Rasse
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Das Berliner Abgeordnetenhaus will die Verfassung ändern. Bild: picture alliance / ZB
Berlin soll den Begriff „Rasse“ aus seiner Verfassung streichen. Der Antrag von Grünen und Piratenpartei stößt auf breite Sympathie, doch nicht alle halten ihn für durchdacht.
An diesem Donnerstag befasst sich das Berliner Abgeordnetenhaus kurz in erster Lesung mit dem „Dreizehnten Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin“. Viele Abgeordnete hegen Sympathie für die darin vertretene Idee, in Zukunft ohne den Begriff „Rasse“ in der Verfassung und allen anderen Gesetzestexten auszukommen. Doch ob der Vorstoß von Grünen und Piratenpartei tatsächlich einen als belastet empfundenen Begriff durch einen besseren ersetzen wird oder ob er zwar von gutem Willen zeugt, aber sprachlich, juristisch und politisch nicht überzeugt, ist durchaus offen.
Artikel 3 des Grundgesetzes garantiert: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. Die Verfassung von Berlin im Artikel 10 fasst es so: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden“. Im Antrag von Grünen und Piratenpartei, den die Linkspartei unterstützen wird, heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, aus rassistischen Gründen, wegen seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Letzte Verfassungsänderung erst vor wenigen Wochen
In der Begründung wird das Motiv der abermaligen Verfassungsänderung erklärt: Es sei immer wieder darauf hingewiesen worden, „dass die Verwendung des Begriffs das Konzept menschlicher ,Rassen’ akzeptabel erscheinen lässt und dazu beitragen kann, rassistischem Denken Vorschub zu leisten“. Das Europäische Parlament habe empfohlen, den Begriff „in allen amtlichen Texten zu vermeiden“, etliche europäische Länder hätten daher schon oder wollten demnächst den Begriff aus ihren Gesetzestexten tilgen.
Der Antrag 17/1481 wird im Plenum nur kurz diskutiert werden und soll dann in den Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses verwiesen werden. Anders als sonst bei Vorstößen für eine Verfassungsänderung üblich, haben die Grünen und die Piraten dieses Mal das Vorhaben nicht in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer besprechen lassen, sondern den Antrag einfach eingebracht, was etliche Abgeordnete überraschte. Daher wird die seriöse Diskussion um Sinn und Grund einer abermaligen Verfassungsänderung – die letzte fand vor wenigen Wochen, Ende 2013 statt – wohl im Ausschuss stattfinden, falls sich die Koalitionsfraktionen SPD und CDU darauf einlassen.
Breite Sympathie für das Motiv
Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sven Kohlmeier, staunt über das von den Oppositionsfraktionen gewählte überaus zwanglose Verfahren für den Vorstoß. Deren Motiv, sagte er, sähen sicher viele Abgeordnete mit Sympathie. Doch ob der Formulierungsvorschlag wirklich ausreichend durchdacht sei, hält er für fraglich. Denn das Ersetzen von „Rasse“ durch ein Benachteiligungs- oder Bevorzugungsverbot „aus rassistischen Gründen“ ersetze einen als unangemessen angesehenen Begriff durch einen „unbestimmten Rechtsbegriff“, der wertend sei. Und ob es klug sei, alle paar Monate die Verfassung zu ändern, bezweifelt Kohlmeier. Seiner Meinung nach ist es völlig offen, ob dieser Antrag die ausreichende Zustimmung von SPD- und CDU-Abgeordneten finden wird. Nach Ansicht von Cornelia Seibeld, der stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden, ist der Begriff „Rasse“ in Artikel 10 so überflüssig wie die Debatte im Abgeordnetenhaus: Abstammung, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben reichten schließlich völlig aus. Grundsätzlich seien sich alle Fraktionen über das Vorhaben einig, sagte sie. Persönlich empfinde sie „durchaus Sympathie“ dafür, den Begriff „Rasse“ aus der Verfassung zu streichen. Ethnie ist in ihren Augen der bessere Begriff.
Aufsätze des Juristen Hendrik Cremer, auf die etwa das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ verweist, das die Streichung des Begriffs „Rasse“ aus dem Grundgesetz fordert, haben bisher kein Einvernehmen ausgelöst. Das mag daran liegen, dass „Rasse“ längst kein Begriff mehr im aktiven politischen Sprachgebrauch ist. Nur bei Haustieren ist von noch „Rassen“ die Rede, schon bei Wildtieren spricht man von „Unterarten“. Und während jeder voraussetzungslos versteht, welche Diskriminierung Artikel 3 des Grundgesetzes und in Artikel 10 der Verfassung von Berlin meint, wird die Zuschreibung von „rassistischen Gründen“ zuverlässig Ärger erzeugen: Denn im gängigen politischen Diskurs denken immer die anderen „rassistisch“.