Kandidatur von Özdemir : Der grünen Harmonie droht Streit
- -Aktualisiert am
Der Verkehrsausschuss ist nicht genug: Cem Özdemir will Fraktionsvorsitzender der Grünen werden. Bild: dpa
Bisher galt die Harmonie bei den Grünen als ein Grund ihres Erfolgs. Doch nach der Bewerbung von Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther für den Fraktionsvorsitz kommt es zur Kampfkandidatur. Die Wahl wird wegweisend für die Partei sein.
Cem Özdemir hat sich entschieden. In gut zwei Wochen will der bekannte Grünen-Politiker zur Wahl des Fraktionsvorsitzenden im Bundestag antreten. Natürlich nicht allein, denn bei den Grünen gilt das Prinzip der Doppelspitze, das gerade wieder – siehe SPD – in Mode ist. Özdemir hat eine Frau für die Kandidatur gefunden. Es ist die bisher kaum bekannte Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther. Sie und der bekannte frühere Grünen-Vorsitzende fordern das Duo heraus, das die Partei seit 2013 im Bundestag führt: Katrin Göring-Eckardt Thüringen und Toni Hofreiter aus Bayern.
Lange schien es so, dass die beiden noch einmal ohne Gegenkandidaten antreten würden. Doch nun wird es am 24. September zu einer Kampfkandidatur kommen. „Wir sind überzeugt davon, dass ein fairer Wettbewerb der Fraktion guttut – nach innen wie nach außen“, schreiben Özdemir und Kappert-Gonther in einem Bewerbungsschreiben. Der „anatolische Schwabe“, wie Özdemir sich wegen seines türkischen Migrationshintergrunds und seiner schwäbischen Heimat selbst manchmal nennt, war im Bundestagswahlkampf vor zwei Jahren Spitzenkandidat zusammen mit Göring-Eckardt. Und nach Meinung vieler der bessere Wahlkämpfer. Für den Posten des Parteivorsitzenden, den er zehn Jahre lang innehatte, wollte er nicht noch einmal kandidieren.
Özdemir sorgte dafür, dass er nicht in Vergessenheit geriet
Doch in der Fraktion fand Özdemir nur wenige, die ihn an der Spitze sehen wollten. So blieb ihm, der lange beliebtester Grünen-Politiker war, nur der Vorsitz im Verkehrsausschuss des Bundestags. Özdemir hielt im obersten deutschen Parlament aufsehenerregende Reden gegen die AfD und kritisierte immer wieder den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan scharf. Özdemir sorgte dafür, dass er nicht in Vergessenheit geriet. Doch das Amt, das der Bedeutung, die viele ihm zumessen (und die er sich selbst zumisst), entsprach, fehlte.
Der gelernte Erzieher, der 1994 als erster Politiker mit türkischen Wurzeln in den Bundestag einzog, hatte für ein Comeback allerdings zwei Regeln zu beachten. Die erste, bei den Grünen festgeschrieben, lautet, das in der Doppelspitze mindestens eine Frau sein muss. Die zweite, ungeschriebene Regel besagt, dass die Parteiflügel, Realos und Linke, vertreten sein müssen. Der 53 Jahre alte Özdemir, selbst Oberrealo, hat nun die linke Frau gefunden: Die ein Jahr ältere Kappert-Gonther ist seit 2017 im Bundestag und drogenpolitische Sprecherin ihrer Partei. Außer in einem gemeinsamen Video, in dem sie sich für die Legalisierung des Cannabis-Konsums einsetzen, sind sie als Duo bisher nicht aufgefallen. Kappert-Gonther, geboren im hessischen Marburg, ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, kommt aus Bremen und wurde in der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung in den achtziger Jahren politisiert. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder, genau wie Özdemir.
Offenbar sehen sie nun Chancen, die Führung in der Fraktion zu übernehmen. Denn Göring-Eckardt, die Reala, und Hofreiter, der Linke, sind umstritten, was ihren Führungsstil und ihre Wirkung nach außen angeht. Bei der vergangenen Wahl erhielten sie ohne Gegenkandidaten nur zwei Drittel der Stimmen. Hofreiter erscheint vielen im Auftreten und in seinen Reden zu wurstig, anders als von manchen vorausgesagt, ist der Bayer mit der blonden Mähne nie „Kult“ geworden. Göring-Eckardt wiederum hängt der Ruf der Beliebigkeit nach. Gerade nach dem Aufstieg des grünen Führungspaars Robert Habeck und Annalena Baerbock, ist von der Grünen-Fraktion im Bundestag immer weniger zu hören – Geräuschlosigkeit herrscht vor.
Das große Plus, das Göring-Eckardt und Hofreiter für sich in Anspruch nehmen, ist gerade diese Geräuschlosigkeit. Sie streiten nicht, von Zerwürfnissen ist nichts bekannt. Özdemir hingegen ist ein Polarisierer, zoffte sich schon als Grünen-Vorsitzender oft mit der linken Flügel-Frau Simone Peter, sprach sich öffentlich gegen die Doppelspitze der Grünen als „alten Zopf“ aus. In einer ersten Reaktion auf die Bewerbung von Özdemir machten Göring-Eckardt und Hofreiter diesen Unterschied am Sonntag unmissverständlich zum Thema. „Toni und ich führen die Fraktion zusammen aus der Mitte heraus“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Deutschen Presse-Agentur. Sie hätten die Fraktion „immer mit einem Blick für den Zusammenhalt und den Ausgleich geführt“, fügte Hofreiter hinzu.
Keine Spitzenkandidatur für Bundestagswahl
Die Wahl in zwei Wochen ist also auch eine Entscheidung darüber, ob die gewohnte Ruhe beibehalten oder eine offensivere Aufstellung gewagt wird, auch auf die Gefahr vermehrter interner Konflikte hin. Özdemir, den viele zu Zeiten der Jamaika-Verhandlungen schon als möglichen Außenminister sahen, hat jedenfalls klargemacht, dass er seine Karriere nicht am Ende sieht. Den Parteichefs Habeck und Baerbock will er allerdings keine Konkurrenz machen. „Wir streben keine Spitzenkandidatur im nächsten Bundestagswahlkampf an“, schreiben Özdemir und Kappert-Gonther. Özdemir ist ja auch noch für ein anderes Amt im Gespräch: als Nachfolger von Winfried Kretschmann, dem 71 Jahre alten Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg.