Sterbehilfe : Gericht spricht Arzt frei
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Der 75-jährige Angeklagte in einem Gerichtssaal im Landgericht Hamburg. Bild: dpa
Ein Arzt begleitete einen Doppelsuizid, machte sich aber nicht der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. So entschied das Landgericht Hamburg, das sich auf eine schriftliche Willensäußerung beider Frauen berief.
In einem Prozess wegen Tötung auf Verlangen hat das Landgericht Hamburg am Mittwoch einen Arzt vom Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung freigesprochen. „Wir sind davon überzeugt, dass Sie sich in Bezug auf den von Ihnen begleiteten Doppelsuizid unter keinem Gesichtspunkt strafbar gemacht haben“, sagte der Vorsitzende Richter des Großen Strafsenats des Landgerichts bei der Verkündung des Urteils. Die schriftliche Willensäußerung der beiden Frauen, keine lebensrettenden Maßnahmen einzuleiten, sei bindend gewesen.
Der Strafsenat verwarf damit die Ansicht der Staatsanwaltschaft, die auf eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren plädiert hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte argumentiert, dass S. die Tatherrschaft über die gemeinschaftliche Selbsttötung der beiden 81 und 85 Jahre alten Frauen gehabt habe und die Rettungskräfte hätte verständigen müssen, nachdem beide Frauen eine tödlich wirkende Überdosis eines verschreibungspflichtigen Medikaments eingenommen hatten und daraufhin das Bewusstsein verloren. Überdies, so die Staatsanwaltschaft, habe S. die beiden Frauen als psychiatrischer Gutachter des Vereins „Sterbehilfe Deutschland“ einseitig auf eine Selbsttötung hin beraten.
Nach dem Doppelsuizid im November 2012 hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft im Mai 2014 zusammen mit S. den Gründer des Vereins, den vormaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch, wegen gemeinschaftlichen Totschlags in mittelbarer Täterschaft angeklagt. Der vormalige Politiker, so die Anklage, hatte ein verschreibungspflichtiges Medikament beschafft und den Frauen zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug waren 2000 Euro an den Verein geflossen.
Das Landgericht Hamburg lehnte es im Dezember 2015 ab, ein Hauptverfahren gegen die beiden Angeschuldigten zu eröffnen. Zwar bestehe der Verdacht, dass Kusch und S. beabsichtigt hätten, die beiden Frauen für ihre gesellschaftspolitischen Ziele zu instrumentalisieren. Jedoch stehe nicht mit hinreichender Gewissheit fest, dass die Angeschuldigten die Verstorbenen über den sozialen Sinngehalt des Suizids oder ihre Motive getäuscht hätten. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die geistig regen und sozial vielfältig eingebundenen Verstorbenen naheliegende Behandlungsmöglichkeiten und Verhaltensalternativen außer Betracht gelassen hätten, auch wenn S. ihnen keine Alternativen im Umgang mit ihren Erkrankungen aufgezeigt habe.
Das Landgericht verneinte auch den Vorwurf, S. habe sich durch die Versorgung mit den todbringenden Medikamenten, durch die Assistenz während des Suizids oder auch durch Unterlassen von Rettungsmaßnahmen nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit strafbar gemacht. Kusch wiederum sei weder eines Tötungs- noch eines Betäubungsmitteldelikts hinreichend verdächtig. Ein unmittelbarer Kontakt zu den Sterbewilligen sei für den Angeschuldigten K. nur zu einer Gelegenheit im Juli 2012 belegt, als dieser ein Gespräch mit den Sterbewilligen geführt und sie an den Angeschuldigten S. zur Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Einsichts- und Urteilsfähigkeit und Wohlerwogenheit des Suizidwunsches verwiesen habe.
Gegen die Nichtzulassung der Anklage legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts bestätigte daraufhin die Entscheidung des Landgerichts, Kusch sei weder eines Tötungs- noch eines Betäubungsmitteldelikts hinreichend verdächtig. Den Angeschuldigten S. hielt der Senat dagegen der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch für hinreichend verdächtig. Von diesem Vorwurf hat das Landgericht S. nun freigesprochen.
Der mit dem Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 neu gefasste Paragraph 217 des Strafgesetzbuches spielte wegen des Rückwirkungsverbots in diesem Verfahren keine Rolle.