Generalbundesanwalt Harald Range : „Die NSU-Morde sind unser 11. September“
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„In einer rechtlichen Grauzone“: Harald Range fordert mehr Initiativrechte für die Bundesanwaltschaft Bild: Lüdecke, Matthias
Im Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung spricht der Generalbundesanwalt Range über die NSU-Morde, das NPD-Verbotsverfahren und mehr Initiativrecht für die Bundesanwaltschaft.
Sie sind Generalbundesanwalt geworden in dem Moment, in dem die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ - NSU - bekannt wurde. Warum wurde das ausländerfeindliche Motiv so lange ausgeblendet, Herr Range?
Die Taten waren damals nicht als rechtsterroristische Verbrechen erkennbar. Weder gab es eine konkrete Spur in rechtsextremistische Kreise noch eine Tatbekennung. Die Ermittlungen gingen daher in alle Richtungen und zielten etwa auf Schutzgelderpressung oder andere Formen organisierter Kriminalität als Motiv.
War die Einschätzung: So etwas darf es in Deutschland nicht geben, also hat es das nicht gegeben?
Für die Bundesanwaltschaft gilt das sicher nicht. Aber nach den Informationen, die wir aus den Ländern bekommen haben, deutete nichts auf einen Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung hin.
Haben die Strafverfolgungsbehörden beim Rechtsterrorismus nicht genau genug hingesehen?
Ich kann nur für meine Behörde sprechen, und da gab es keine Versäumnisse. Ich hätte mir allerdings eine intensivere Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden der Länder in Richtung der Bundesanwaltschaft gewünscht. Wir haben ja nur in Ausnahmefällen ein eigenes Ermittlungsrecht. Grundsätzlich ist die Strafverfolgung Sache der Länder. Deshalb müssen die Staatsanwaltschaften der Länder sich an uns wenden, wenn sie den Verdacht auf eine terroristische Straftat haben. Damit wir prüfen können, ob das ein Fall für uns ist. Wenn eine Landesstaatsanwaltschaft uns aber nicht informiert oder mitteilt, das ist kein staatsgefährdendes Verbrechen, dann müssen wir das in aller Regel so hinnehmen. Hier wünsche ich mir Verbesserungen für die Zukunft. Das möchte ich im Mai bei der Zusammenkunft der Generalstaatsanwälte besprechen.
Hat sich die Bundesanwaltschaft schon mit den Taten der NSU beschäftigt, als die Mordserie noch im Gange war?
Nach meinem Amtsantritt habe ich sämtliche unsere Zuständigkeit betreffenden Vorgänge seit 1995 überprüfen lassen. In 45 von den rund 8000 Fällen haben wir mögliche Verbindungen in die rechtsextremistische Szene festgestellt. 13 Fälle weisen aus heutiger Sicht einen Bezug zum „NSU“-Verfahren auf. Entweder waren die Taten Gegenstand der Vorgänge, oder es tauchten die Namen von Beschuldigten oder von Personen aus deren Umfeld auf. In allen Fällen haben wir die Auskunft bekommen, ein rechtsterroristischer Zusammenhang sei nicht anzunehmen. Wir konnten also die Verfahren nicht übernehmen.
Hat dazu der Fall gehört, als Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eine Rohrbombe gebaut hatten und dann im Zuge von deren Entdeckung Anfang 1998 abtauchten?
Ja. Nach der damaligen polizeilichen und staatsanwaltlichen Einschätzung handelte es sich nicht um eine feste Gruppe mit terroristischen Strukturen, sondern um Einzeltäter aus der rechtsextremistischen Szene. Das wurde uns mehrfach so gesagt.
Welche Fälle haben Sie noch geprüft?
Wir haben die Ceska-Morde und auch den Sprengstoffanschlag in Köln geprüft. Der staatsschutzrechtliche Hintergrund, der uns berechtigt hätte, die Fälle zu übernehmen, war nicht erkennbar.
Wie frei sind Sie in der Entscheidung, Fälle an sich zu ziehen?
Wir sind wenig frei, sind an enge gesetzliche Vorgaben gebunden. Sind keine verfestigten terroristischen Strukturen greifbar, können wir selbst bei schwersten Straftaten wie Mord die Ermittlungen nur übernehmen, wenn die Tat bestimmt und geeignet ist, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden, und zudem eine besondere Bedeutung hat. Der Bundesgerichtshof legt diese Merkmale sehr restriktiv aus und hat uns sehr hohe Hürden für Übernahmen solcher Verfahren gesetzt. Es gab etwa einen Brandanschlag auf ein Textilgeschäft vietnamesischer Staatsangehöriger in Jeßnitz durch Rechtsextremisten, bei dem wir die Ermittlungen an uns gezogen hatten. Der Bundesgerichtshof hat aber mit Hinweis darauf, dass die Strafverfolgung Sache der Länder ist, die besondere Bedeutung des Falles und damit unsere Zuständigkeit verneint. Das sind Erfahrungen, die uns dazu gebracht haben, zurückhaltend zu sein.
Was sollte sich da ändern?
Ich halte eine Präzisierung unserer Zuständigkeit für bedenkenswert. Außerdem brauchen wir als Bundesanwaltschaft mehr und klare Initiativrechte, um in der Lage zu sein, selbst zu prüfen und zu bewerten, ob wir in einem konkreten Fall zuständig sind. Bisher bewegen wir uns da in einer rechtlichen Grauzone. Die derzeitige Situation ist nicht befriedigend. Eigentlich müssten die Landesstaatsanwaltschaften die Fälle an uns herantragen, in denen wir zuständig sein könnten. Das geschieht aber nur sehr selten. Bei den genannten 45 Fällen war das nur dreimal so.
In Frankreich herrscht große Betroffenheit wegen des Anschlags auf eine jüdische Schule, bei dem drei Kinder und ein Lehrer getötet wurden. Was wäre, wenn so etwas in Deutschland passieren würde?
Das Sicherheitsgefühl der ganzen Bevölkerung würde beeinträchtigt. Deswegen würde ich einen solchen Fall als Generalbundesanwalt an mich ziehen - wegen der besonderen Bedeutung, die eine solche Tat auch mit ihrem antisemitischen Hintergrund hat. Das würde im Übrigen auch für die Ermordung der französischen Soldaten durch denselben Täter gelten.
Hätte man bei den NSU-Morden eher ein politisches und rassistisches Motiv gesehen, wenn die Opfer nicht Menschen mit muslimischem, sondern mit jüdischem Hintergrund gewesen wären?
Das kann ich mir selbst angesichts unserer Geschichte nicht vorstellen. Allerdings treten Rechtsextremisten besonders demonstrativ gegen jüdische Mitbürger auf, denken wir etwa an die Schändung jüdischer Friedhöfe und Grabmale. Vor diesem Hintergrund hätte man möglicherweise eher auf ein rechtsterroristisches Motiv schließen können.
Wie stark war die Unterstützung des NSU aus der NPD?
Bei einzelnen Unterstützern gibt es eine personelle Überschneidung. Eine strukturierte Unterstützung aus der NPD gab es nach unseren bisherigen Erkenntnissen aber nicht. Das gilt auch für die Finanzierung. Soweit wir das heute sagen können, hat die Terrorzelle sich das Geld zum Leben aus Banküberfällen verschafft. Die rund 600.000 Euro, die sie dabei über die Jahre erbeutet haben, reichten wohl aus, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Wie stehen Sie zum NPD-Verbotsverfahren?
Da will ich mich als Generalbundesanwalt nicht einmischen. Das ist eine Frage für die Verfassungsjuristen und eine Frage der politischen Bewertung. Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Meinung als Staatsbürger fragen: Man muss sich mit dem Rechtsextremismus politisch auseinandersetzen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Der Staat muss zwar auf Straftaten entschieden reagieren. Er muss auch klarmachen, wie gefährlich rechtsextremistische Gedanken sind und wie schnell sie zu einer menschenverachtenden Grundhaltung führen, die bei uns nicht akzeptiert wird. Der Staat darf allerdings mit Blick auf das Parteienprivileg des Grundgesetzes auch nicht überreagieren.
Noch einmal zu den NSU-Morden. Wie sehr werden die Ermittlungen dadurch erschwert, dass die beiden Haupttäter tot sind?
Das macht es schwieriger. Wenn wir alle drei mutmaßlichen Terroristen hätten, wäre die Chance ungleich größer, dass irgendwann einer von ihnen redet. Manche Täter legen im Laufe eines Prozesses eine Lebensbeichte ab, weil ihnen das den Umgang mit ihrer Tat erleichtert. Jetzt bleibt uns nur Frau Zschäpe. Man kann aber nicht damit rechnen, dass sie aussagen wird. Wir werden auch ohne ihr Geständnis auskommen.
Bisher schweigt sie. Werden Sie Frau Zschäpe dennoch eine Tatbeteiligung nachweisen können?
Wir arbeiten mit Hochdruck daran, ihr eine Beteiligung an den Morden der NSU nachzuweisen. Wir haben viele Beweismittel, die belegen, dass sie sehr genau wusste, was in den Köpfen von Mundlos und Böhnhardt vorgegangen ist und was sie getan haben. Und dass sie an den Taten beteiligt war, zumindest durch logistische Hilfe. Ob sie an einem oder mehreren Tatorten war, können wir allerdings noch nicht sagen.
Was ist derzeit der Vorwurf an Frau Zschäpe?
Der Haftbefehl lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und besonders schwere Brandstiftung. Gegenstand der Ermittlungen ist aber auch, ob sie Mittäterin der Morde war.
Mit welcher Strafe hat sie zu rechnen?
Die Höchststrafe für Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beträgt zehn Jahre. Weniger kann ich mir im Fall von Frau Zschäpe derzeit schwer vorstellen. Schließlich wird ihr ja auch noch eine besonders schwere Brandstiftung vorgeworfen, auf die bis zu 15 Jahre Haft stehen. Wenn wir ihr die Mittäterschaft zum Mord nachweisen können, ist eine lebenslange Freiheitsstrafe die Konsequenz. Bei so vielen Morden kann das auch wirklich heißen: lebenslang.
Wie weit sind Sie mit dem Auswerten der Beweismittel?
Neunzig Prozent der Gegenstände, die wir in der Wohnung in Zwickau, in dem Wohnmobil in Eisenach und bei Durchsuchungen sichergestellt haben, sind ausgewertet. Bei den elektronischen Asservaten sind wir noch nicht ganz so weit.
Wie viel Kapazität der Bundesanwaltschaft bindet die Ermittlung gegen den NSU?
15 bis 20 Prozent. Bei der Bundesanwaltschaft gibt es insgesamt etwa hundert Bundes-, Oberstaats- und Staatsanwälte. Zehn bis zwölf beschäftigen sich ständig mit dem Fall, die anderen sind für die Zusammenarbeit mit dem Untersuchungsausschuss abgestellt. Da wir zahlreiche andere Verfahren führen, stoßen wir an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit. Allerdings ist die Bereitschaft, in einer solchen Situation mehr zu leisten, sehr groß. Im vorigen Jahrzehnt waren die Folgen der Terroranschläge des 11. September 2001 das prägende Ereignis für die Bundesanwaltschaft. Man weiß zwar nicht, was noch kommt, aber für dieses Jahrzehnt könnten die Morde der Rechtsterroristen das bestimmende Ereignis sein. Von der Bedeutung für die Bundesanwaltschaft her gesehen, aber auch hinsichtlich der politischen Folgen sage ich: Die NSU-Morde sind unser 11. September.
Das Gespräch führten Eckart Lohse und Markus Wehner