Generalbundesanwalt Harald Range : „Die NSU-Morde sind unser 11. September“
- Aktualisiert am
Da will ich mich als Generalbundesanwalt nicht einmischen. Das ist eine Frage für die Verfassungsjuristen und eine Frage der politischen Bewertung. Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Meinung als Staatsbürger fragen: Man muss sich mit dem Rechtsextremismus politisch auseinandersetzen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Der Staat muss zwar auf Straftaten entschieden reagieren. Er muss auch klarmachen, wie gefährlich rechtsextremistische Gedanken sind und wie schnell sie zu einer menschenverachtenden Grundhaltung führen, die bei uns nicht akzeptiert wird. Der Staat darf allerdings mit Blick auf das Parteienprivileg des Grundgesetzes auch nicht überreagieren.
Noch einmal zu den NSU-Morden. Wie sehr werden die Ermittlungen dadurch erschwert, dass die beiden Haupttäter tot sind?
Das macht es schwieriger. Wenn wir alle drei mutmaßlichen Terroristen hätten, wäre die Chance ungleich größer, dass irgendwann einer von ihnen redet. Manche Täter legen im Laufe eines Prozesses eine Lebensbeichte ab, weil ihnen das den Umgang mit ihrer Tat erleichtert. Jetzt bleibt uns nur Frau Zschäpe. Man kann aber nicht damit rechnen, dass sie aussagen wird. Wir werden auch ohne ihr Geständnis auskommen.
Bisher schweigt sie. Werden Sie Frau Zschäpe dennoch eine Tatbeteiligung nachweisen können?
Wir arbeiten mit Hochdruck daran, ihr eine Beteiligung an den Morden der NSU nachzuweisen. Wir haben viele Beweismittel, die belegen, dass sie sehr genau wusste, was in den Köpfen von Mundlos und Böhnhardt vorgegangen ist und was sie getan haben. Und dass sie an den Taten beteiligt war, zumindest durch logistische Hilfe. Ob sie an einem oder mehreren Tatorten war, können wir allerdings noch nicht sagen.
Was ist derzeit der Vorwurf an Frau Zschäpe?
Der Haftbefehl lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und besonders schwere Brandstiftung. Gegenstand der Ermittlungen ist aber auch, ob sie Mittäterin der Morde war.
Mit welcher Strafe hat sie zu rechnen?
Die Höchststrafe für Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beträgt zehn Jahre. Weniger kann ich mir im Fall von Frau Zschäpe derzeit schwer vorstellen. Schließlich wird ihr ja auch noch eine besonders schwere Brandstiftung vorgeworfen, auf die bis zu 15 Jahre Haft stehen. Wenn wir ihr die Mittäterschaft zum Mord nachweisen können, ist eine lebenslange Freiheitsstrafe die Konsequenz. Bei so vielen Morden kann das auch wirklich heißen: lebenslang.
Wie weit sind Sie mit dem Auswerten der Beweismittel?
Neunzig Prozent der Gegenstände, die wir in der Wohnung in Zwickau, in dem Wohnmobil in Eisenach und bei Durchsuchungen sichergestellt haben, sind ausgewertet. Bei den elektronischen Asservaten sind wir noch nicht ganz so weit.
Wie viel Kapazität der Bundesanwaltschaft bindet die Ermittlung gegen den NSU?
15 bis 20 Prozent. Bei der Bundesanwaltschaft gibt es insgesamt etwa hundert Bundes-, Oberstaats- und Staatsanwälte. Zehn bis zwölf beschäftigen sich ständig mit dem Fall, die anderen sind für die Zusammenarbeit mit dem Untersuchungsausschuss abgestellt. Da wir zahlreiche andere Verfahren führen, stoßen wir an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit. Allerdings ist die Bereitschaft, in einer solchen Situation mehr zu leisten, sehr groß. Im vorigen Jahrzehnt waren die Folgen der Terroranschläge des 11. September 2001 das prägende Ereignis für die Bundesanwaltschaft. Man weiß zwar nicht, was noch kommt, aber für dieses Jahrzehnt könnten die Morde der Rechtsterroristen das bestimmende Ereignis sein. Von der Bedeutung für die Bundesanwaltschaft her gesehen, aber auch hinsichtlich der politischen Folgen sage ich: Die NSU-Morde sind unser 11. September.
Das Gespräch führten Eckart Lohse und Markus Wehner