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Generalbundesanwalt Harald Range : „Die NSU-Morde sind unser 11. September“

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Wir sind wenig frei, sind an enge gesetzliche Vorgaben gebunden. Sind keine verfestigten terroristischen Strukturen greifbar, können wir selbst bei schwersten Straftaten wie Mord die Ermittlungen nur übernehmen, wenn die Tat bestimmt und geeignet ist, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden, und zudem eine besondere Bedeutung hat. Der Bundesgerichtshof legt diese Merkmale sehr restriktiv aus und hat uns sehr hohe Hürden für Übernahmen solcher Verfahren gesetzt. Es gab etwa einen Brandanschlag auf ein Textilgeschäft vietnamesischer Staatsangehöriger in Jeßnitz durch Rechtsextremisten, bei dem wir die Ermittlungen an uns gezogen hatten. Der Bundesgerichtshof hat aber mit Hinweis darauf, dass die Strafverfolgung Sache der Länder ist, die besondere Bedeutung des Falles und damit unsere Zuständigkeit verneint. Das sind Erfahrungen, die uns dazu gebracht haben, zurückhaltend zu sein.

Was sollte sich da ändern?

Ich halte eine Präzisierung unserer Zuständigkeit für bedenkenswert. Außerdem brauchen wir als Bundesanwaltschaft mehr und klare Initiativrechte, um in der Lage zu sein, selbst zu prüfen und zu bewerten, ob wir in einem konkreten Fall zuständig sind. Bisher bewegen wir uns da in einer rechtlichen Grauzone. Die derzeitige Situation ist nicht befriedigend. Eigentlich müssten die Landesstaatsanwaltschaften die Fälle an uns herantragen, in denen wir zuständig sein könnten. Das geschieht aber nur sehr selten. Bei den genannten 45 Fällen war das nur dreimal so.

„Nach meinem Amtsantritt habe ich sämtliche unsere Zuständigkeit betreffenden Vorgänge seit 1995 überprüfen lassen. In 45 von den rund 8000 Fällen haben wir mögliche Verbindungen in die rechtsextremistische Szene festgestellt“, sagt Range
„Nach meinem Amtsantritt habe ich sämtliche unsere Zuständigkeit betreffenden Vorgänge seit 1995 überprüfen lassen. In 45 von den rund 8000 Fällen haben wir mögliche Verbindungen in die rechtsextremistische Szene festgestellt“, sagt Range : Bild: dapd

In Frankreich herrscht große Betroffenheit wegen des Anschlags auf eine jüdische Schule, bei dem drei Kinder und ein Lehrer getötet wurden. Was wäre, wenn so etwas in Deutschland passieren würde?

Das Sicherheitsgefühl der ganzen Bevölkerung würde beeinträchtigt. Deswegen würde ich einen solchen Fall als Generalbundesanwalt an mich ziehen - wegen der besonderen Bedeutung, die eine solche Tat auch mit ihrem antisemitischen Hintergrund hat. Das würde im Übrigen auch für die Ermordung der französischen Soldaten durch denselben Täter gelten.

Hätte man bei den NSU-Morden eher ein politisches und rassistisches Motiv gesehen, wenn die Opfer nicht Menschen mit muslimischem, sondern mit jüdischem Hintergrund gewesen wären?

Das kann ich mir selbst angesichts unserer Geschichte nicht vorstellen. Allerdings treten Rechtsextremisten besonders demonstrativ gegen jüdische Mitbürger auf, denken wir etwa an die Schändung jüdischer Friedhöfe und Grabmale. Vor diesem Hintergrund hätte man möglicherweise eher auf ein rechtsterroristisches Motiv schließen können.

Wie stark war die Unterstützung des NSU aus der NPD?

Bei einzelnen Unterstützern gibt es eine personelle Überschneidung. Eine strukturierte Unterstützung aus der NPD gab es nach unseren bisherigen Erkenntnissen aber nicht. Das gilt auch für die Finanzierung. Soweit wir das heute sagen können, hat die Terrorzelle sich das Geld zum Leben aus Banküberfällen verschafft. Die rund 600.000 Euro, die sie dabei über die Jahre erbeutet haben, reichten wohl aus, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

Wie stehen Sie zum NPD-Verbotsverfahren?

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