Kindermord-Ermittlungen gegen NSU-Mitglied : Die Spur des Außenbordmotors
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Als die Buchstaben „NSU“ noch keine Bedeutung hatten: Das ZDF suchte 1994 nach Hinweisen in dem Mordfall Bild: AFP
Der Name Uwe Böhnhardt wird auch bei Ermittlungen zu dem Mord an einem neun Jahre alten Schüler 1993 in Jena genannt. Ob der Junge das erste Mordopfer des späteren NSU-Terroristen war, wissen die Ermittler noch nicht.
Im Sommer 1993 machten spielende Kinder am Ufer der Saale einen grausigen Fund. Es war die Leiche des seit dem 6. Juli 1993 vermissten Schülers Bernd Beckmann aus Jena. Tagelang hatte die Polizei nach dem Jungen gesucht, der Mörder ist bis heute nicht gefasst worden. Eines der wenigen Indizien war der Außenbordmotor eines kleines Bootes, den die Polizei in der Nähe der Leiche fand. Dieser Motor führte die Beamten zu dem Besitzer des Bootes, einem Enrico T., welcher der Polizei sagte, sein Boot sei gestohlen worden und er habe mit dem Mord nichts zu tun. Später sagte er auch, dass der Einzige, der gewusst habe, wo das Boot untergestellt gewesen sei, der spätere NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt gewesen sei. Auch Böhnhardt wurde damals nach Angaben der Staatsanwaltschaft Gera als Zeuge gehört. Doch ein Tatverdacht habe sich nicht ergeben.
Als Zeuge blieb Enrico T. auch später in seinem Leben für die Polizei interessant. Da er offenbar mit Böhnhardt im Jena der neunziger Jahre bekannt war, wurde er nach dem Auffliegen des NSU im Jahr 2011 auch dazu befragt. Für die Bundesanwaltschaft ist er ein Zeuge im Zusammenhang mit der Beschaffung der Česka-Waffe, mit der neun der zehn Morde verübt wurden, die Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zur Last gelegt werden. So soll Enrico T. ein „Mittelsmann“ auf dem Weg der Mordwaffe von der Schweiz nach Jena gewesen sein. Denn von der Schweiz kam die Waffe in ein Geschäft für Neonazi-Artikel in Jena, in dem Mitglieder der rechtsradikalen Szene gerne einkauften.
Bei dem Betreiber des Ladens bestellte dann laut Anklage im NSU-Verfahren der Mitangeklagte Carsten Sch. vermutlich im Frühjahr 2000 im Auftrag des ebenfalls angeklagten Ralf Wohlleben eine Waffe und Munition. Geliefert wurde laut Anklage die Česka 83 samt Schalldämpfer, die Carsten Sch. daraufhin in Chemnitz an die untergetauchten Terroristen Böhnhardt und Mundlos übergeben hat, wie er vor Gericht sagte.
Noch keine neue Spur
Aus diesen Gründen ist Enrico T. im NSU-Verfahren ebenfalls als Zeuge geladen gewesen und hat auch schon ausgesagt – dass er sich an so gut wie nichts erinnern könne. Begleitet von einem Anwalt gab er Ende April dieses Jahres auch nach stundenlangem Nachfragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl nichts preis, was das sogenannte Umfeld, in dem sich Böhnhardt und er bewegten, hätte erhellen können. Ganz zu schweigen von Angaben dazu, wer wo wann Waffen gekauft, weitergeleitet oder vermittelt hätte.
Doch die Aussagen des Enrico T., der auch schon einmal wegen Falschaussage und Meineids verurteilt wurde, werden zurzeit auch von den Ermittlern überprüft, die sich abermals mit dem Mord an Bernd Beckmann im Jahr 1993 beschäftigen. Mord verjährt nicht. Mordakten werden somit auch nie ganz zur Seite gelegt, mag der Fall auch noch so lange zurückliegen.
Immer wieder holt die Polizei sogenannte Altfälle hervor, um zu schauen, ob nicht neue Erkenntnisse in alten Spuren zu finden sind. Seit knapp zwei Jahren wird so auch routinemäßig der Fall des ermordeten Bernd Beckmann wieder durchleuchtet. Da Enrico T. damals als Zeuge vernommen wurde, will die Polizei nun untersuchen, ob sein Aussageverhalten von damals zu seinen Aussagen passt, die er vor kurzem vor Gericht im NSU-Verfahren gemacht hat.
Eine neue Spur habe sich so jedoch noch nicht ergeben, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Gera am Dienstag. Man ermittele weiterhin gegen unbekannt, einen Tatverdächtigen gebe es nicht: Weder Enrico T. noch der verstorbene Böhnhardt kämen nach aktuellem Stand als damaliger Täter in Betracht.
Auch der Sprecher des Generalbundesanwaltes sagt, dass sie keine „zureichenden Anhaltspunkte“ dafür hätten, dass der Mord an dem Kind Böhnhardt zuzurechnen sei. Zum Tathergang will die Polizei auch Jahre nach dem Mord nichts sagen. Zu groß sei die Gefahr, dass dadurch Täterwissen preisgegeben und die Ermittlungen gefährdet würden. Unmittelbar nach der Tat hieß es jedoch, die Polizei schließe ein Sexualverbrechen nicht aus.