Sexualstrafrecht : Auch den Frauen gehört die Freiheit
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Im Januar protestieren Frauen in Hamburg gegen sexuelle Gewalt Bild: dpa
Bei ungewollten sexuellen Handlungen nimmt es unsere Gesellschaft rechtlich nicht so genau. Die Beweisbarkeit bleibt das Problem. Doch ist das kein Grund, alles so zu belassen, wie es ist. Ein Gastbeitrag.
Ist der Mann das Problem? In solch einem konkreten Fall natürlich schon: Ein Angestellter der Bundesagentur für Arbeit bestellt eine Kundin sein Büro. Er fordert sie auf, „komm, lass uns küssen“. In der Hoffnung, dann gehen zu können, wehrt sie sich nicht, als er ihr einen Zungenkuss gibt. Nun fragt er, „ob sie es ihm mit dem Mund machen würde“. Die Frau verneint. Dennoch entblößte er sein erigiertes Geschlechtsteil, führte es ihr, ohne dass sie Widerstand leistet, in den Mund und macht Vor- und Rückbewegungen. Diese Handlung, so hat es der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr entschieden, ist straffrei (Az. 4 StR 424/14).
Solche Urteile sind tatsächlich nicht ein Problem des männlichen Geschlechts, sondern ein gesellschaftliches. Zwar wurde das deutsche Strafrecht im Wesentlichen von Männern geschaffen. Zwar stellt Recht – Strafrecht zumal – in Worte gegossene Machtverhältnisse auch zwischen den Geschlechtern dar. Dennoch ist es unsere gesamte Gesellschaft, die es bei Eigentumsdelikten sehr genau, ungewollte sexuellen Handlungen jedoch rechtlich nicht so ernst nimmt.
Frauen, die Opfer solcher Taten wurden oder befürchten, Opfer zu werden, sind in Angst. Sie verschaffen sich nun seit etwa zwei Jahren erneut verstärkt Gehör. Sie haben Fallsammlungen erstellt, auf Lücken hingewiesen und auf die Umsetzung völkerrechtlicher Vorgaben gepocht. Gesellschaftlich verbreiteter war hingegen lange die Sorge, ob und wie Männer vor falschen Strafanzeigen geschützt werden können. Und auch Bundesjustizminister Maas war noch bis vor kurzem der Ansicht, dass das Strafrecht nicht verändert werden müsse und änderungswillige Frauen das Thema „zu weiblich“ sähen.
Es ist dringend nötig, Taten wie die eingangs beschriebene als Sexualstraftaten verurteilen zu können. Deswegen ist richtig, jene Fälle, die das deutsche Sexualstrafrecht bislang gar nicht erfasst, künftig unter Strafe zu stellen: Wenn das Opfer seinen entgegenstehenden Willen klar zum Ausdruck gebracht hat. Wenn der Täter die Furcht des Opfers vor einem empfindlichen Übel bewusst ausnutzt. Wenn der sexuelle Übergriff völlig überraschend kommt. Oder wenn der Wille eines Opfers nicht unmittelbar vor der Tat gebrochen wird, sondern lange zuvor. Etwa in einer von Gewalt geprägten Beziehung.
Wer ein geparktes Auto sieht, darf es sich nicht einfach nehmen. Warum soll es dann straflos sein, Geschlechtsverkehr mit einem Menschen zu haben, der das nicht will? Dieser Vergleich impliziert keineswegs, dass es einen erlaubten Gebrauch eines Menschen gibt. Er macht aber klar, worum es geht: Beim Eigentum reicht es für eine Strafbarkeit aus, es gegen den Willen des Berechtigten zu gebrauchen oder zu nehmen. Bei der sexuellen Selbstbestimmung genügt dieser entgegenstehende Wille derzeit nicht.
Auch in dem Entwurf, den Heiko Maas nach öffentlichen Druck doch noch auf den Weg brachte, bleibt die Frage relevant, warum eine Frau auf Widerstand verzichtet hat. Hätte die Frau in der Arbeitsagentur den Täter zurückstoßen, um Hilfe rufen oder fliehen müssen? Umfassende Pflichten zum Selbstschutz kennt unser Strafrecht nicht. Viele Straftaten würden vermutlich verhindert, wenn sich die Opfer im Vorfeld vernünftiger verhielten. Warum sollen Erwägungen zum Selbstschutz ausgerechnet im Sexualstrafrecht Platz haben? Geht es dabei doch um einen besonders sensiblen Teil unserer Persönlichkeit und unseres Körpers.
Im Bundestag zeichnete sich im Rechtsausschuss tatsächlich die Chance eines Paradigmenwechsels ab. Abgeordnete der Koalition schrieben ohne ihre Fraktionsspitzen Eckpunkte für den Rechtsausschuss auf, mit denen sie den Entwurf des Bundesjustizministers verbessern wollen. Wie schon in den Gesetzentwürfen der Opposition sowie in den Forderungen von Opferverbänden und Frauenrechtsorganisationen lautet nun die vorgeschlagene Lösung: „Nein heißt nein“. Das ist keine strafrechtliche Formulierung und klingt trivial. Der Satz mag in seiner Schlichtheit sogar unerfüllbare Erwartungen wecken. Aber er ist Ausdruck einer Selbstverständlichkeit, die in allen anderen Bereichen unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung ebenfalls gilt. Und für die der Gesetzgeber deswegen eine tatbestandliche Entsprechung im Sexualstrafrecht finden muss. Das kann gelingen. Durch einen neuen Grundtatbestand und einige typisierende Regelbeispiele.
Was eine Verbesserung der Rechtslage für konkrete Auswirkungen haben wird, wird man sehen. Es gab nach der bisherigen Rechtslage Fehlurteile und es wird sie auch künftig geben. Natürlich bleibt die Beweisbarkeit das Problem. Doch kann dies nicht die Begründung dafür sein, alles so zu belassen, wie es jetzt ist. Denn die gesellschaftliche Freiheit wird durch ein verbessertes Sexualstrafrecht nicht eingeschränkt. Im Gegenteil, die Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung wird vergrößert. Freiheit ist nämlich auch die Freiheit der Frauen!