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Deutsch-französische Grenze : Wir brauchen mehr Zusammenarbeit!

  • -Aktualisiert am

Die deutsche Polizei kontrolliert Mitte März an der deutsch-französisch-luxembergischen Grenzübergang bei Perl. Bild: Frank Röth

Covid-19 hat zu Reibungen zwischen Deutschland und Frankreich geführt. Die Erfahrungen der Grenzregion zeigen, dass wir eine noch engere Abstimmung brauchen. Ein Gastbeitrag

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          Das Europa der offenen Grenzen wird im Zuge der Corona-Pandemie auf eine harte Probe gestellt. Dies spüren wir vor allem in der deutsch-französischen Grenzregion. Hier haben wir uns nun schon seit Jahrzehnten an eine Grenze gewöhnt, die eigentlich keine mehr war. Mit über 220.000 Pendlern ist die Großregion Saar-Lor-Lux der größte grenzüberschreitende Arbeitsmarkt in Europa.

          Hinzu kommen Handel und Gewerbe, die vom grenzüberschreitenden Austausch leben. Hinzu kommen überdies längst etablierte Kooperationen im Kultur- und Bildungsbereich, in Wissenschaft, Forschung und bei den Hochschulen, in der Inneren Sicherheit, im Gesundheitswesen und vieles mehr. Europa war hier an der Grenze nicht nur Verheißung, es war gelebte Realität.

          Nun aber Corona. Eine seit Generationen nicht mehr erlebte Pandemie bricht über uns herein, und unsere gesamte europäische Welt scheint auf den Kopf gestellt. Und plötzlich ist sie wieder da: die Grenze. Ist das das abrupte Ende unseres europäischen Projektes hier in der zentraleuropäischen Kernregion? Keineswegs! Alle ernstzunehmenden und tragenden politischen Kräfte in Grand Est und an der Saar, ebenso in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Luxemburg sind sich einig: Diese Situation ist eine Ausnahme, die keineswegs zur Regel werden wird.

          Eine Ausnahmesituation wie diese Pandemie stellt uns alle vor nicht gekannte Herausforderungen. Dabei ist klar, dass nicht alles synchron und ohne Irritationen abläuft – weder innerhalb der Nationalstaaten noch über die Grenzen hinweg. Auf französischer Seite war man nicht erfreut, dass das Robert-Koch-Institut die gesamte Region Grand Est als Risikogebiet auswies und von deutscher Seite Grenzen geschlossen wurden, lag doch der kritische Bereich weit entfernt im südlichen Elsass.

          Auf deutscher Seite war man irritiert, dass in Grand Est schon früh Testungen und Quarantänemaßnahmen eingeschränkt wurden. Aber: Auch zwischen den deutschen Bundesländern läuft die Abstimmung längst nicht immer reibungslos ab. Würde man daraus den Schluss ziehen, das föderale Gefüge der Bundesrepublik Deutschland sei gefährdet?

          Kontaktreduzierungen in Zeiten von Epidemien gab es immer schon. Sie waren über Jahrhunderte das einzige Mittel, um Infektionen einzudämmen. Und solange wir weder über ein Medikament noch über einen Impfstoff verfügen, ist dies auch für uns derzeit die einzige Option. Entlang unserer Grenze hat das jedoch nichts mit einem neu heraufziehenden Nationalismus zu tun. Denn schließlich betreffen die Grenzkontrollen auch viele Saarländer, die in Lothringen wohnen und im Saarland arbeiten.

          Die Krise zeigt: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit

          Wir sind uns aber sicher: Diese Krise wird eine Episode bleiben, weit entfernt davon, das grenzüberschreitende Miteinander aus den Angeln zu heben. Im Gegenteil: Diese Krise beweist auch und erneut, dass wir eine ständig engere grenzüberschreitende Zusammenarbeit brauchen. Und klar ist auch: Nach der Krise wird die Grenze wieder in der Unsichtbarkeit verschwinden.

          Gleichzeitig zu unseren eigenen Maßnahmen, die sich natürlich immer im jeweiligen nationalen Kontext vollziehen, halten wir ein Höchstmaß an grenzüberschreitender Abstimmung aufrecht. Täglich informieren wir uns gegenseitig telefonisch über das Geschehen in der eigenen Region. Ein Ergebnis davon ist, dass im Saarland wie auch in anderen Bundesländern bereits 140 an Covid-19 Erkrankte aus Grand Est behandelt werden.

          Ein weiteres Ergebnis sind Erleichterungen beim Grenzübergang. Die Schließung beziehungsweise Umleitung zahlreicher Grenzübergänge sorgte durchaus für Ärger auf französischer Seite, zwangen sie doch manche Pendler zu Umwegen von teilweise mehr als 50 Kilometern. Aufgrund der persönlichen Intervention des saarländischen Ministerpräsidenten bei Bundesinnenminister Horst Seehofer wurde der Pendlerverkehr erleichtert und ein Übergang wieder geöffnet, was für eine spürbare Entlastung sorgt.

          Ein Schub für die Zukunft

          Und wir arbeiten in einer gemeinsamen Schaltstelle gemeinsam mit Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium des Innern sowie der Préfecture und der Agence régionale de santé in Straßburg weiter daran, die Situation für die Grenzgänger zu entschärfen und die Maßnahmen an den Grenzen besser zu koordinieren. Wir beide sind fest entschlossen, aus dieser Situation das Beste zu machen.

          Das Beste ist zugleich, an die Zukunft nach der Krise zu denken. Wir sind uns sicher: Diese Krise wird auch unserer Zusammenarbeit einen neuen Schub verleihen. Das gilt nicht nur für das Gesundheits- und Krankenhauswesen, nicht nur für den grenzüberschreitenden Katastrophenschutz. Dies gilt auch für die Wirtschaft, wenn es darum geht, Gewerbe und Handel wiederaufzurichten.

          Und dies gilt vor allem für unsere Zusammenarbeit im Bereich von Innovation, Forschung und Wissenschaft. Denn im Angesicht dieser Pandemie gilt umso mehr: Hier liegt nicht nur der Schlüssel für die Zukunft unserer Großregion. Hier liegt auch der Schlüssel für jedwede kommende globale Herausforderung. Die Welt von morgen heute vorzudenken und mitzugestalten, dabei die Möglichkeiten der Globalisierung zu nutzen und ihre Gefährdungen im Sinne eines sozialen und wirtschaftlich starken Europas zu mindern, dies ist eine zentrale deutsch-französische Herausforderung. Wer, wenn nicht wir als europäische Kernregion müssen hierfür den Weg weisen?

          Tobias Hans (CDU) ist Ministerpräsident des Saarlandes; Jean Rottner ist Präsident der französischen Region Grand-Est.

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