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Türkische „Rocker“ vor Gericht : Nicht nur organisierte Kriminalität

Großer Andrang: Besucher vor dem Gerichtsgebäude in Stuttgart Bild: dpa

Führende Mitglieder der „Osmanen Germania“ stehen vor Gericht. Der Prozess in Stuttgart hat auch eine politische Dimension, denn die Verbindungen der Rockergruppe reichen bis nach Ankara.

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          Über der Justizvollzugsanstalt Stammheim und dem völlig maroden Verhandlungssaal des Landgerichts schweben zwei Polizeihubschrauber. Bereitschaftspolizisten mit Maschinenpistolen sichern die Zufahrtsstraßen. Aufgemotzte und stark übermotorisierte Geländewagen, die von muskulösen Männern in schwarzer Rockerkleidung gesteuert werden, kurven vor der Justizvollzugsanstalt auf der Suche nach Parkplätzen herum. Die Polizei spricht von einer „sehr akuten Bedrohungssituation“. Es ist der erste von mindestens fünfzig Verhandlungstagen. Angeklagt sind acht ehemalige Mitglieder der türkisch-nationalistischen Rocker-Gang „Osmanen Germania BC“. Vorgeworfen wird den Beschuldigten gefährliche Körperverletzung, Zuhälterei, Unterstützung von Zwangsprostitution, versuchter Mord und versuchter Totschlag. Fünf von acht Angeklagten haben die türkische Staatsbürgerschaft. Begangen wurden die Taten in unterschiedlichen Konstellationen. Einer Ermittlungsgruppe des baden-württembergischen Landeskriminalamtes war es im April 2017 gelungen, führende Mitglieder der Osmanen zu verhaften, nachdem sie seit 2015 vor allem den Großraum Stuttgart mit einem Bandenkrieg gegen die kurdische Rockergruppierung „Bahoz“ und mit brutalen Bestrafungen von Aussteigern beunruhigt hatten.

          Rüdiger Soldt
          Politischer Korrespondent in Baden-Württemberg.

          Als Mehmet B., der ehemalige „Weltpräsident“ der Osmanen, sein Vize Selcuk S. und der ehemalige Chef des Stuttgarter Chapters, Leyent U., mit den fünf Mitangeklagten in den Verhandlungssaal geführt werden, schluchzen zwei Frauen laut auf. Etwa sechzig Männer und Frauen aus dem Rocker- und Rotlichtmilieu verfolgen die Eröffnung der Hauptverhandlung, zwanzig Bereitschaftspolizisten schirmen sie im Verhandlungssaal von den restlichen Zuhörern ab. Die geringste Provokation etwa eines kurdischen Prozessbeobachters könnte eine Eskalation verursachen. Drei Nebenklageanwälte vertreten unter Druck gesetzte Osmanen-Mitglieder, eine ebenfalls von den „Rockern“ mit roher Gewalt drangsalierte Prostituierte tritt ebenfalls als Nebenklägerin auf. Die Angeklagten haben sich in den polizeilichen Vernehmungen entweder auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen oder die Vorwürfe bestritten.

          Projektil ohne Narkose aus Bein herausgeschnitten

          Typisch für das umfangreiche Strafverfahren mit insgesamt 21 Fällen sind das Vorgehen gegen ein Bahoz-Mitglied in der Ludwigsburger Innenstadt, eine Strafaktion gegen einen ausstiegswilligen Osmanen sowie die Behandlung einer Zwangsprostituierten, die wöchentlich 4000 Euro mit ihren Dienstleistungen einnehmen und an die Osmanen zahlen sollte. Der Oberstaatsanwalt arbeitet die große Brutalität heraus, mit der die Angeklagten vorgingen: „Es erkannte jeder“, sagt er über die Bestrafungsaktion in Ludwigsburg, „dass Schläge mit dem Baseballschläger hätten zum Tode führen können. Sie nahmen den Tod von Olgun B. billigend in Kauf.“ Am 21. November 2016 waren 18 bewaffnete Osmanen durch die Ludwigsburger Innenstadt gelaufen, um den Kurden symbolhaft zu bestrafen und ihre Macht zu demonstrieren. Bewaffnet waren sie mit Schlagstöcken, Axtstielen und Baseballschlägern. „Hört nicht auf, hört nicht auf, er soll nicht wieder aufstehen!“, rief einer der Osmanen. Levent U. und Robin O. befehligten die Aktion.

          Symbol der Osmanen: An der schwarzen Kutte erkennt man die Mitglieder der „Rockerbande“
          Symbol der Osmanen: An der schwarzen Kutte erkennt man die Mitglieder der „Rockerbande“ : Bild: Helmut Fricke

          Nicht weniger brutal hätten die Osmanen Celal S. behandelt, eines ihrer Mitglieder. Er hatte sich geweigert, gewaltsam gegen Kurden vorzugehen. Levent U. und ein gewisser Mustafa K., der noch nicht angeklagt ist, lockten Celal S. in eine Wohnung in Herrenberg, gaben ihm ein Schlafmittel, die Ausführenden waren Ali S. und Robin O. Sie schlugen ihrem Opfer erst mit einer Zange mehrere Zähne aus, dann schossen sie ihm in den Oberschenkel. Das Projektil verfehlte wichtige Blutgefäße nur knapp. Daraufhin nahmen sie den schwerverletzten und bewusstlosen Mann als Geisel. Nach mehreren stümperhaften Versuchen gelang es ihnen, das Projektil – selbstverständlich ohne Narkose – herauszuschneiden, um ein Beweismittel zu vernichten.

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