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Freital-Prozess : Alles andere als Lausbubenstreiche

  • -Aktualisiert am

Die Anfänge der Gruppe: Proteste gegen Flüchtlinge in Freital im Sommer 2015 Bild: Picture-Alliance

Die Eskalation der Gewalt habe noch bevorgestanden: Die Anklage sieht den Terrorvorwurf bestätigt und fordert Haftstrafen im Prozess gegen die Gruppe Freital.

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          Mit manchen Vorurteilen gegenüber diesem Prozess räumte die Generalbundesanwaltschaft gleich zu Beginn des 66. Verhandlungstages auf. Was sei in den vergangenen Monaten nicht alles über dieses Verfahren zu hören und zu lesen gewesen, sagte Bundesanwalt Jörn Hauschild am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht in Dresden und zitierte nicht zuletzt aus Medienberichten Einschätzungen der Taten als „Lausbubenstreiche“, die Bezeichnung der juristischen Aufarbeitung als „politischer Schauprozess“ oder die Verharmlosung der Freitaler Gruppierung als „auch nicht gefährlicher als jede x-beliebige Rockergruppe“. Nein, sagte Hauschild am Anfang seines rund vier Stunden dauernden Plädoyers, die Taten seien eben nichts dergleichen. Vielmehr hätten sich die Vorwürfe gegen die acht Angeklagten der „Gruppe Freital“ „umfänglich bestätigt“, die Beweise seien „größtenteils eindeutig“.

          Stefan Locke
          Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.

          Insbesondere habe die Beweisaufnahme die Anklage der Gruppe als terroristische Vereinigung „vollumfänglich bestätigt“, sagte der Bundesanwalt. Es stehe zwar außer Frage, dass insbesondere die kriminelle Energie der Gruppe nicht mit der RAF oder der rechtsextremen „Old School Society“ zu vergleichen sei, aber darauf komme es nicht an. Rein juristisch betrachtet, sei die Gruppe Freital als terroristische Vereinigung einzustufen. So hätten sich die Angeklagten eine auf längere Zeit angelegte, feste Struktur gegeben, um ihre rechtsextremistische, fremdenfeindliche und teilweise rassistische Ideologie mit Anschlägen durchzusetzen. Ihr Ziel sei es gewesen, in Freital und Umgebung Angst und Schrecken zu verbreiten. Zudem hätten die Mitglieder der Gruppe feste Rollen eingenommen, es habe eine klare Hierarchie, regelmäßige Treffen, Planung und Arbeitsteilung sowie eine konspirative Kommunikation gegeben. Das alles habe zu einem erheblichen Gruppendruck beigetragen, dem sich einzelne Mitglieder schließlich nicht mehr entziehen konnten; genau das sei auch das Gefährliche an solchen Gruppen. Mit ihren Taten hätten sie ein Klima der Angst geschaffen sowie Ausländern das Recht abgesprochen, in Deutschland zu leben. Damit hätten sie das friedliche Zusammenleben in Deutschland gestört, hieß es im Plädoyer.

          Hohe Haftstrafen gefordert

          Der Einwand der Verteidiger, dass das, was die Gruppe getan habe, kein Terrorismus sei, sei „kein juristischer Ansatz, sondern allenfalls Polemik“, sagte Hauschild. Im Verlauf seiner Ausführungen zeichnete er das Bild einer sich binnen weniger Monate immer mehr radikalisierenden Gruppe im Raum Freital, die mit Sprengstoffanschlägen gegen Autos, Häuser und Personen, insbesondere gegen Asylbewerber, deren Unterstützer sowie politisch Andersdenkende begann und schließlich auch vor versuchtem Mord nicht mehr zurückschreckte. „Binnen wenigen Wochen eskalierte die Gewalt“, sagte Hauschild. „Wir sind überzeugt, dass die letzte Stufe hier noch nicht erreicht war.“ Ihren Ausgangspunkt hatte die Gruppe im Frühjahr 2015, als sich mehrere der späteren Mitglieder unter anderem bei Protesten und Ausschreitungen vor einem einstigen Freitaler Hotel, das als Unterkunft für Asylbewerber genutzt wurde, begegneten und sich schließlich bei weiteren Kundgebungen gegen Asylbewerber trafen.

          Das alles habe den Angeklagten, sieben Männer und eine Frau, jedoch schon bald nicht mehr gereicht. Vielmehr hätten sie gemeinsam beschlossen, auch Gewalt anzuwenden, um Flüchtlinge sowie deren Helfer einzuschüchtern und schließlich zu vertreiben. Mit Hilfe von fünf Anschlägen – darunter auf das Auto und das Parteibüro eines Lokalpolitikers der Linkspartei, auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden und auf zwei Flüchtlingswohnungen in Freital zwischen Juli und November 2015 – hätten sie diesem Ziel näher kommen wollen. „Letztlich war es nur pures Glück, dass es dabei keine Toten gegeben hat“, sagte Hauschild. Seinen Ausführungen zufolge hätte die Gruppe ihr Treiben fortgesetzt, wenn sie nicht durch die Polizei gestoppt worden wäre. Skrupel oder gar Einsicht seien keinem der Angeklagten auch nur ansatzweise gekommen, vielmehr hätten sie sich ihren Taten gegenüber erschreckend gleichgültig verhalten, wie sichergestellte Chat-Protokolle belegten.

          Vor allem ihre rechtsextreme Ideologie habe die Gruppe zusammengehalten. „Es ist nicht auszudenken, was alles noch passiert wäre“, sagte der Bundesanwalt, der an dieser Stelle auch ausdrücklich Sachsens Ermittler in Schutz nahm, die in diesem Fall harsch kritisiert worden waren. Es sei keinerlei vorsätzliches Verschulden zu erkennen, sagte Hauschild. Vielmehr hätten Sachsens Operatives Abwehrzentrum und die Staatsanwaltschaft „hervorragende Arbeit geleistet“ und sich „keine Versäumnisse“ zuschulden kommen lassen.

          Die Steigerung der Taten lässt sich auch daran ablesen, dass die Generalbundesanwaltschaft im Falle der letzten Tat den Angeklagten vor ihrem Auffliegen auch versuchten Mord aus Ausländerhass vorwirft. Dabei hatten sie mit illegaler Pyrotechnik mehrere Fenster einer Flüchtlingswohnung gesprengt. Sowohl die Sprengkraft als auch die umherfliegenden Splitter hätten Menschen tödlich verletzen können, erklärten Sachverständige im Verfahren. Letztlich kam nur ein Bewohner zu Schaden, auch weil sie die Täter bemerkt und aus dem Zimmer geflüchtet waren.

          Insgesamt beantragte die Generalbundesanwaltschaft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mordes und Körperverletzung sowie wegen des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen und Sachbeschädigung für die beiden Rädelsführer der Gruppe elf Jahre sowie zehn Jahre und neun Monate Haft, für fünf weitere Mitglieder zwischen fünf Jahren und sechs Monaten sowie sieben Jahren und sechs Monaten Haft. Für den jüngsten Angeklagten wurde eine Jugendstrafe gefordert. Die Angeklagten nahmen die Strafanträge zum Teil mit einem Lächeln, zum Teil aber auch erschrocken auf. Das Urteil wird im Frühjahr erwartet.

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