Frankfurt : Kein Gymnasium trotz Einserschnitts
- -Aktualisiert am
Empört: Grundschüler fordern mehr Plätze an Frankfurter Gymnasien. Bild: Frank Röth
In Frankfurt dürfen 500 Schüler nicht an gewünschte Gymnasien in Wohnortnähe wechseln. Stattdessen werden sie quer über die Stadt verteilt. Vor allem aufgebrachte Eltern aus bürgerlichen Wohngegenden protestieren.
Die Stimme von Fatima Melloul zittert. Ihr Sohn sei doch so gut in der Schule, beteuert sie, und Tränen stehen ihr dabei in den Augen. Der zehn Jahre alte Ayoub geht in die vierte Klasse, im Sommer soll er auf ein Gymnasium wechseln. Davon gibt es im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, wo die alleinerziehende Mutter mit ihren zwei Kindern wohnt, gleich drei. Doch alle sind überbelegt und mussten deshalb Dutzende Grundschüler ablehnen. Ayoub gehört zu ihnen, stadtweit sind es rund 500 Kinder, die keinen Platz an einem der gewünschten Gymnasien bekommen.

Redakteur in der Rhein-Main-Zeitung.
In Hessen gilt, anders als etwa in Bayern, die freie Wahl der weiterführenden Schule. Das hört sich für die Eltern erst einmal gut an. Ungeachtet der Zeugnisnoten dürfen sie bestimmen, welchen Bildungsweg das Kind einschlägt. Immer häufiger fällt die Wahl auf das Gymnasium: In Frankfurt entschieden sich 56Prozent der Eltern von Viertklässlern für ein Gymnasium. Außerdem steigt die Zahl der Kinder je Jahrgang immer weiter an. Das führt dazu, dass für die fünften Klassen fast 3000 Gymnasiasten angemeldet wurden – mehr als jemals zuvor.
Auf diese Weise wird vielen Eltern schmerzhaft klar, dass die freie Schulwahl Grenzen hat. Wo sie liegen, bestimmt das Angebot. Wenn eine Schule voll ist – und die beliebten Frankfurter Gymnasien sind zum Bersten voll –, kann sie niemanden mehr aufnehmen. Dann hat das Staatliche Schulamt das Recht, die Schüler auf Gymnasien zu verteilen, die noch freie Plätze haben, vielleicht, weil der Ruf zweifelhaft ist oder sie weit entfernt von den bürgerlichen Wohnvierteln liegen.
Beides trifft auf ein Gymnasium zu, das noch gar nicht gebaut ist, aber schon nach den Sommerferien eröffnen soll, um die größte Platznot zu lindern. Anfangs sollen die Schüler in Containern in Frankfurt-Höchst unterkommen und später in einen Neubau im Stadtteil Nied umziehen. Beide Standorte liegen im Westen der Stadt zwischen Sozialbauten und Industrieanlagen, das Areal in Nied ist sogar noch mit Giftstoffen belastet. Dementsprechend hat sich fast niemand an der neuen Schule angemeldet. Trotzdem sollen 180 Kinder aus ganz Frankfurt dorthin geschickt werden, zur Not auch gegen den Willen der Eltern.
Die wollen sich das nicht gefallen lassen, ebenso wenig wie die rechtlich mögliche Zuweisung auf eine Gesamtschule. Sie schreiben Protestbriefe, organisieren sich in sozialen Netzwerken und ziehen zu Hunderten auf den Römerberg. „Wir wollen nicht nach Nied!“, skandieren sie vor dem Rathaus. Kinder halten Plakate in die Höhe. Auf ihnen steht „Schulen vor Ort – sofort“ und „Durchschnittsnote 1,5 – warum kein Gymnasium?“. Auch das überrascht viele Familien: Ein schlechtes Grundschulzeugnis ist zwar kein Malus bei der Gymnasialplatzvergabe, ein gutes eben aber auch kein Bonus.
Kinder dürfen nicht aus ihrem Umfeld gerissen werden
Fast noch mehr als die Eltern empört das die Kinder, die auf Ungerechtigkeiten bekanntlich empfindlich reagieren. Auf dem Römerberg treten sie nacheinander ans Mikrofon. „Ich bin die Beste in der Klasse und habe keinen Platz gekriegt – keinen einzigen“, sagt ein Mädchen mit langen dunklen Haaren. Ein Junge sagt, er habe gedacht, Leistung lohne sich: „Aber nein, sie müssen eines der dümmsten Kinder aus meiner Klasse aufnehmen.“ Das klingt einer der umstehenden Mütter dann doch zu hart: „So was sagt man nicht“, sagt sie zu ihren Kindern.