Steinmeier in Sachsen : Rauer Wind beim Kaffee mit Bürgern
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Hört vor allem zu: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch im Café Hartmann in Freiberg Bild: dpa
Der Bundespräsident reist abermals für mehrere Tage in die Peripherie – diesmal ins sächsische Freiberg. Bei einem Gespräch mit Bürgern dominiert der Dissens über Corona, die Ukrainepolitik und „die Medien“.
Vor einem Jahr war Freiberg in Sachsen häufig Gegenstand bundesweiter Berichterstattung. Die 40.000-Einwohner-Stadt am Fuße des Erzgebirges war zu einem Zentrum der Corona-Proteste geworden, und auch heute gibt es wieder jeden Montag Demonstrationen – wegen steigender Energiepreise, gegen den Krieg in der Ukraine oder die Russlandpolitik der Bundesregierung. An diesem Mittwochnachmittag ist es allerdings nur ein einzelner Mann, der vor dem Café Hartmann auf einem Plakat „Frieden mit Russland“ fordert. Als der Bundespräsident zu einem geplanten Gespräch mit Freiberger Bürgern vor dem Café ankommt, sind ein paar „Kriegstreiber“-Rufe zu hören, die er drinnen kurz erwähnt. Frank-Walter Steinmeier hat zum wiederholten Mal seinen Amtssitz von Berlin in die Provinz verlegt; drei Tage lang ist er in der Universitäts- und Bergstadt unterwegs, der es, oberflächlich gesehen, nicht schlecht geht, in der aber zahlreiche Probleme gären.
Um diese geht es an der Kaffeetafel, die das Bundespräsidialamt schon vorab als „kontrovers“ beschreibt, wohl um möglichen Vorurteilen entgegenzuwirken. Zwölf Menschen, je zur Hälfte Frauen und Männer aus verschiedensten Teilen der Einwohnerschaft, haben Platz genommen, und Steinmeier kommt denn auch sofort zur Sache: „Ich bin auch gekommen, weil ich von den Protesten gehört habe“, sagt er. „Wo sind die Risse? Wo sehen Sie eine Spaltung“, will er wissen. Ihm direkt gegenüber sitzt der Mann, der das Demo-Geschehen bis heute mit initiiert. Thorsten Hedrich-Wild antwortet, dass sein Vertrauen in die Politik dahin sei, seit das Infektionsschutzgesetz von Bundestag und Bundesrat an einem Tag beschlossen und dann auch noch von Steinmeier unterzeichnet worden sei, während die Polizei draußen mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vorgegangen sei. „Das hat für mich nichts mehr mit Demokratie zu tun.“
Unmut über die Unübersichtlichkeit der Welt wird deutlich
Warum es so schwer sei, eine mit demokratischer Mehrheit getroffene Entscheidung zu akzeptieren, will Steinmeier wissen, woraufhin ein grundsätzliches Problem deutlich wird: Hedrich-Wild zweifelt die Pandemie grundsätzlich an; bei Grippe habe es doch auch nie Tests und Masken gegeben, sagt er. Auch wenn angesichts der gegenwärtigen Krisen Corona schon wieder weit weg schien, wird an Steinmeiers Kaffeetafel deutlich, dass die Verletzungen aus der Corona-Zeit kaum verwunden sind. Es geht noch einmal auch ums Impfen. Am Tisch sitzt eine Altenpflegerin, die sich nicht impfen ließ, und die Stigmatisierung durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht beklagt. „Bin ich eine schlechtere Krankenschwester, weil ich ungeimpft bin?“ Nein, sagt Steinmeier. „Das nicht. Aber nach Meinung einer Mehrheit der Immunologen sind Sie ein höheres Risiko für die Patienten.“
Eine andere Frau, die ehrenamtlich die Tafel in der Bergstadt organisiert, wirft ein, dass sie vier Mal geimpft sei und sich die Leute in anderen Ländern nicht solche Luxusdiskussionen leisten könnten, weil sie den Verdienstausfall bei einer Infektion nicht ersetzt bekämen und schon deshalb fast alle zum Impfen gegangen seien. Zu hören ist aber auch Kritik daran, dass Firmen an der Pandemie, an Masken und Impfstoff verdient haben, sowie der mitschwingende Vorwurf, dass sich diese gezielt bereichert, ja sie sogar eine Pandemie-Hysterie geschürt hätten.
Überhaupt ist zu spüren, wie sehr die Unübersichtlichkeit der Welt und wohl auch die Zumutungen der Moderne vielen zu schaffen machen. Sie habe den dringenden Wunsch, dass Politiker nicht ständig in Talkshows gingen, sondern Dinge erst mal zu Ende dächten und sich erst dann äußerten, sagt die Vorsitzende des Freiberger Gewerbevereins. Eine weitere Frau hat sich extra einen Zettel geschrieben, um keine der sie umtreibenden Probleme zu vergessen. Es geht ums Impfen, aber auch um den Krieg, um Waffenlieferungen und die steigenden Flüchtlingszahlen. „Unsere Regierung lässt das alles zu“, beklagt sie, die berichtet, sowohl montags demonstrieren zu gehen als auch Flüchtlingen Deutsch beizubringen. „Unsere Kultur wird übern Haufen geworfen“, sagt sie. Früher sei es „gemütlich, mehr heimelig“ gewesen, heute dagegen gebe es keinen Zusammenhalt mehr, nur noch Unruhe, Vorwürfe und Beschimpfungen.