Fraktur : Bismarckhering per Telegramm
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Sehr deutsche Geschmackssache: Der eiserne Kanzler Foto dpa Bild: dpa
Die Post gibt Reichsbürgern den Rest. Und die Bundesregierung bleibt inkonsequent: Sie benennt nur das Bismarckzimmer, aber nicht den Hering um.
Eigentlich hatten wir im Wettbüro unseres Vertrauens alles auf ein ruhiges Jahresende gesetzt, auch weil die Quoten dafür nun mal am höchsten waren. Doch kurz vor Schluss war es mit der Ruhe schon wieder vorbei. Wie üblich wollten wir am Neujahrstag unsere Wünsche per Telegramm versenden lassen, doch das sei nicht möglich, teilte die Deutsche Post mit. Der Telegramm-Service werde zum Jahresende eingestellt.
Schade, denn wir hatten so gern mit dem Fräulein vom Amt geplaudert und uns Schmuckblätter mit Titeln wie „Sektgläser“, „Blumen“ oder auch, wenn wir’s richtig krachen lassen wollten, „Muffin mit Kerze“ empfehlen lassen.
Das mit dem Fräulein ist natürlich geflunkert, denn Telegramme wurden schon seit einiger Zeit online aufgegeben. 160 Zeichen für schlappe 12,57 Euro! Aber der Postbote überreicht’s persönlich! Da kommen E-Mail und SMS nicht ran. Eine besonders bittere Nachricht ist das Telegramm-Ende auch für Reichsbürger, denen die Post damit ihre Kommunikationsgrundlage entzieht.
In den einst adelig verwalteten Gefilden Ostthüringens ist deshalb schon vom Reußenschlag die Rede. Doch nutzt man im Ländlichen etwa ein Mobiltelefon, kommt das, zählt man die Verbindungsunterbrechungen als +++ Stopps +++, dem Telegramm-Gefühl dann doch wieder recht nahe.
Ostdeutsche sind in Sachen Umbenennung erfahren
Immerhin, der Name Telegramm lebt als Messengerdienst weiter, wenn auch nur mit einem m. Aber Zeichen zu sparen ist ja heute wichtig, mindestens so sehr, wie Zeichen zu setzen. Zum Beispiel durch Umbenennungen. Doch da bleibt etwa die Bundesregierung erstaunlich inkonsequent. So hat Annalena Baerbock zwar das Bismarckzimmer im Auswärtigen Amt in „Saal der Deutschen Einheit“ umbenannt. Den Bismarckhering jedoch hat sie vergessen. Wenn sie sich (Achtung, Boulevardkollegen! Schlagzeile!) daran mal nicht verschluckt!
Die DDR, wo in besagtem Bismarckzimmer einst das Politbüro der SED tagte, der Raum aber natürlich nicht den Namen des Altreichskanzlers trug, hatte den nach ihm benannten Fisch in „Delikateßhering“ umgetauft. Dabei hatte auch dieser Name wie bei Bismarck nichts mit dem tatsächlichen Geschmack zu tun. „Hering der deutschen Einheit“ wiederum hätte wohl eher eine Zukunft im Camping- als im Kühlregal, wobei der Name im Laden Diskussionen über die Stabilität des Befestigungselements auslösen dürfte.
Festzuhalten bleibt, dass Ostdeutsche in Sachen Umbenennung sehr erfahren, aber auch überlastet sind. Manche finden seit der Umbenennungswelle nach 1990 nicht nach Hause und irren seitdem in ihren Städten herum, was im Westen als Demonstrationen gegen das System fehlgedeutet wird. Je nach politischer Wetterlage hatten sich Ostadressen bereits vor 1989 mehrfach geändert, ohne dass ihre Inhaber umgezogen wären.
Jetzt aber mussten auch Marx, Engels und Lenin, Breitscheid, Dimitroff und Thälmann ihren Straßennamensvorgängern oder Neubenennungen weichen. Inkonsequent blieb aber auch das, denn die schnell aufkommende Frage, ob Haupt kein Kommunist gewesen sei, weil die Bahnhöfe alle ihre Namen behielten, blieb unbeantwortet.
„Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch“
Ähnlich erging es bisher der Akte Preußen, die bei der Kulturstaatsministerin auf Wiedervorlage liegt, weil sie bei selbigem Begriff rot sieht. Sie verfügte, dass die das kulturelle Erbe des verbotenen Staates bewahrende Stiftung nicht mehr preußisch heißen dürfe. Der Name sei „nicht weltläufig“ genug, einen neuen aber schlug Frau Roth nicht vor.
Womöglich, weil sich die Koalition in der Frage mal wieder nicht grün ist. Vielleicht könnte man die Stiftung zumindest übergangsweise nach Bismarck benennen, also dem Hering, der – wenn auch unmariniert – immerhin in den Weltmeeren zu Hause ist.
Vor Umbenennungen aber ist nichts und niemand mehr gefeit, weil sie (schon) immer weniger eine Frage der Vernunft als überschäumender Emotionen sind. Das aber ist auch nichts Neues, wie wir seit Goethes „Faust“ wissen, wo es heißt: „Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch.“ Dass ab morgen allerdings auch noch das Jahr umbenannt werden soll, geht uns entschieden zu weit.