Flüchtlinge in Berlin : Vom Cottbusser Platz zum Kottbusser Tor
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Demonstration, Gegendemonstration: NPD-Gegner in Berlin-Hellersdorf Bild: dpa
Dem Klischee nach ist Berlin eine gespaltene Stadt. Während angeblich in Hellersdorf der Fremdenhass kursiert, herrscht in Kreuzberg Multikulti-Folklore. Doch die Realität ist komplizierter.
Zwischen Cottbusser Platz und Kottbusser Tor liegen Welten. Im Nordosten Berlins werden dieser Tage Bilder produziert wie aus den frühen neunziger Jahren: Dicke, ungesund aussehende Deutsche lassen sich mit Hitlergruß filmen und grölen Parolen gegen verängstigte Flüchtlinge, die in einer ehemaligen Schule in einem Plattenbau Unterkunft finden sollen. In Kreuzberg aber, mitten auf dem Oranienplatz und in der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule, wohnen seit zehn Monaten Flüchtlinge, um für eine andere Flüchtlingspolitik zu kämpfen. Sie genießen die Sympathie und den Schutz der Bezirkspolitiker, für die Kreuzberg die Hauptstadt des Multikulti ist: Sie wollen nicht in Heimen leben müssen und durch „Residenzpflicht“ in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt werden, sie wollen für ihren eigenen Lebensunterhalt arbeiten dürfen. Und sie wollen bleiben und nicht zurückgeschickt werden.
Am Cottbusser Platz und am Kottbusser Tor werden verschiedene Möglichkeiten erprobt, mit Flüchtlingen zu leben. In Hellersdorf sind die Parteien NPD und Pro Deutschland aktiv, eine Bürgerinitiative gegen das Heim, das 200 Personen Obdach geben soll, hat sich gegründet. Dagegen protestieren und demonstrieren Parteien und Organisationen, die Polizei steht in der Mitte. Am Dienstagabend war das Ritual - 40 NPD-Leute, 600 Gegendemonstranten, 250 Polizisten, 25 Festnahmen, ein durch Flaschenwurf verletzter Polizeibeamter - etwa um 21 Uhr beendet. Am Mittwochmorgen ging es um neun Uhr friedlich weiter. Der Flüchtlingsrat Berlin berichtet von sechs Personen, die noch am Tag ihrer Unterbringung in der Carola-Neher-Straße regelrecht aus dem Heim geflohen seien, und fordert einen Belegungsstopp und ein Sicherheitskonzept für das Haus. Die neue Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin, Monika Herrmann (Grüne), verteidigte das Camp gegen lauter werdende Einwände: „Es ist ein politisches Mahnmal“.
Falsche Klischees
Innensenator Frank Henkel (CDU) lässt prüfen, ob er es auflösen kann. Es wird nicht damit gerechnet, dass dort vor den Bundestagswahlen etwas Spektakuläres passiert. An die Hellersdorfer Anwohner appellierte er, „sich nicht von rechtsextremen Rattenfängern instrumentalisieren zu lassen“. Ihm wäre „unerträglich, wenn Flüchtlinge erneut flüchten müssten, weil ihnen an manchen Orten in unserer Stadt Hass entgegenschlägt, der von politischen Extremisten angeheizt und gesteuert wird“. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) weist darauf hin, dass die Flüchtlingszahlen zunehmen, die Unterkünfte seien schon jetzt überbelegt. Czaja, der zu kämpfen hatte, bis sich alle Bezirke an der Unterbringung von Flüchtlingen beteiligten, wies darauf hin, dass den Hellersdorfer Ärger nicht die Anwohner erzeugten, sondern „undifferenzierte Stimmungsmache von Rechtsaußen“. Er hält es für „wichtig, die Menschen nicht an den Stadtrand oder in entlegene Gegenden zu verdrängen, sondern sie menschenwürdig und in möglichst guter Nachbarschaft in Wohngebieten unterzubringen“.
Politiker, Anwohner und das Publikum haben es in Berlin zur Zeit schwer, ohne überlebte Klischees auszukommen: Multikulti-Folklore in Kreuzberg, dumpfe Fremdenfeindlichkeit im Osten, das entspricht nicht der tatsächlichen Lage. Seit den gewalttätigen Übergriffen gegen Asylbewerber in den neunziger Jahren hat sich der Ton, in dem über Flüchtlinge gesprochen wird, grundsätzlich geändert. Am Mittwoch setzte etwa die Boulevardzeitung „B.Z.“ das Schicksal des 21 Jahre alten Muhammad Z. aus Pakistan auf die Titelseite: „Was habt ihr gegen mich?“ war die Schlagzeile. Z. „floh vor dem Terror, jetzt erlebt er den Hass“, heißt es im Text. Zu viel wissen Politiker und Bürger über die Verhältnisse in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, um sie umstandslos als „Wohlstandsmigranten“ abzustempeln: Die Menschen, die im Heim in der Carola-Neher-Straße untergebracht werden, flohen aus Syrien, Afghanistan und Serbien. Die Schauspielerin Carola Neher floh vor Hitler in die Sowjetunion, geriet in Stalins Terror und starb 1942 in einem Lager.
Integrationsbeauftragte fordert Bannmeile um Flüchtlingsheime
Über Residenzpflicht und raschere Arbeitserlaubnisse für Asylbewerber wird in der deutschen Innenpolitik zwar kontrovers diskutiert, doch selten im Sinne von Richtig gegen Falsch. Aktivisten unter den Flüchtlingen - auch ihr Auftreten in eigener Sache ist eine Entwicklung der jüngsten Zeit - haben dafür gesorgt, dass das Thema aktuell bleibt: Der Marsch von Würzburg nach Berlin, das Protestcamp vor dem Brandenburger Tor (und das gleichzeitig entstandene in Kreuzberg) erregten im vergangenen Herbst große Aufmerksamkeit. Maria Böhmer (CDU), die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, sprach damals mit den Flüchtlingen und zeigte sich anschließend beeindruckt. Ein späteres Gespräch mit Innenpolitikern geriet allerdings aus dem Ruder, weil einer der Aktivisten einen verwegen hochfahrenden Ton gegenüber den Parlamentariern wählte. Böhmer forderte Berlin am Mittwoch auf, „für die Sicherheit und den Schutz der Asylbewerber zu sorgen“.
Berlins Integrationsbeauftragte Monika Lüke schlägt eine Bannmeile um Flüchtlingsheime herum vor: Demonstrationsfreiheit dürfe „nicht auf Kosten der Menschen gehen, die erneut um Leib und Leben fürchten müssen, wenn zu Hass gegen sie aufgestachelt wird“. Das Flüchtlingsthema dürfe man nicht Rechtspopulisten überlassen, forderte der Innenpolitiker Wolfgang Bosbach (CDU), und schlug in der „Saarbrücker Zeitung“ ein Krisentreffen von Bund, Ländern und Kommunen vor. Das, so ein Sprecher von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch, sei nicht nötig.