Flüchtlinge als Kofferträger : Arbeitslos im Postkolonialismus
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„Wir haben gern geholfen“: Ein Kofferträger in Schwäbisch Gmünd Bild: dpa
In Schwäbisch Gmünd dürfen schwarze Flüchtlinge nicht mehr als Kofferträger arbeiten, weil dahinter Rassismus vermutet wurde. Die Betroffenen sind von der Entscheidung enttäuscht - sie wollten helfen.
Die politische Korrektheit führt manchmal zu anstrengenden Diskussionen. In Tübingen hat man gerade ein halbes Jahr darüber diskutiert, ob eiweißhaltiges, fettglasurverziertes Schaumgebäck auf einer Schokoladenmesse als „Mohrenköpfle“ angeboten werden darf. In der Universitätsstadt gab es deshalb die sogenannte und sehr kontrovers geführte „M-Kopf-Debatte“. Jetzt war Schwäbisch Gmünd dran, dort führt man seit Wochenbeginn die „K-Träger-Debatte“: Oberbürgermeister Richard Arnold, Landrat Klaus Pavel (beide CDU) und die Bahn hatten kürzlich stolz ein gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt für Flüchtlinge vorgestellt. Weil der Bahnhof gerade für sechs Millionen Euro saniert wird, brauchen die Reisenden dort besonders häufig Hilfe beim Umsteigen. Sie müssen zum Beispiel eine unwegsame Behelfsbrücke überqueren. Die Stadt fand unter den 250 Flüchtlingen, die in einer alten Kaserne untergebracht sind, zehn Freiwillige, die sich bereit erklärten, für 1,05 Euro Aufwandsentschädigung als Kofferträger zu arbeiten.
Die Flüchtlinge bekamen ein rotes T-Shirt, ein Namensschild mit dem Logo der Stauferstadt. Und weil die Temperaturen in der Stadt im Ostalbkreis auf 30 Grad gestiegen waren, auch noch einen Strohhut als Grundausstattung. Sogar der lokale „Arbeitskreis Asyl“ unterstützte das Projekt. Zur Vermeidung des Eindrucks, in Gmünd beute man Flüchtlinge zu menschenunwürdigen Bedingungen aus, empfahl der Oberbürgermeister, den Flüchtlingen reichlich Trinkgeld zu geben. Nach dem Gesetz dürfen Asylbewerber nur 1,05 Euro in der Stunde verdienen.
Flüchtlinge sind über Debatte verwundert
Dann veröffentlichte die Stadt ein Bild mit dem Oberbürgermeister im weißen Oberhemd und den zehn Flüchtlingen mit ihren Strohhüten. Und schon war es geschehen: Schwäbisch Gmünd, die Stadt mit knapp 60.000 Einwohnern im baden-württembergischen Ostalbkreis, stand in Internetforen als neokolonialistisches Weltzentrum am Pranger. Die Stadt und die Bahn behandelten die Flüchtlinge „im klassischen Sklavenstil“, „Rassisten“ und „Nazis“ seien am Werk; eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei analysierte messerscharf, dass man in der Ostalb einen „Schritt zurück in die Kolonialzeit“ mache. Ein „Shitstorm“ war entfacht. Menschen aus Schwarzafrika, Koffer, miese Bezahlung, Strohhut - das waren die Stichworte, um das Klischee zu bestätigen. Unter dem Eindruck der Kritik beendete die Bahn das Projekt kurzerhand und teilte mit, nun eigene Mitarbeiter einzusetzen.
Bei den angeblich von Rassismus betroffenen Flüchtlingen sorgt die Entscheidung indes für Verwirrung. „Als ich den Flüchtlingen das Namensschild angeheftet habe, da sind die erstmals nicht als Akte oder Nummer, sondern als Person wahrgenommen worden. Da waren die sehr froh. Jetzt verstehen sie die Welt nicht mehr“, sagt Oberbürgermeister Arnold. Die Gesetze für Asylbewerber seien in den neunziger Jahren gemacht worden, jetzt seien sie nicht mehr zeitgemäß. „Ich halte es für problematisch, die Flüchtlinge zur Untätigkeit zu verdammen. Das macht sie kaputt. Das macht sie depressiv.“ Es sei doch viel besser, wenn man diesen Menschen eine Tagesstruktur biete, wenn man sie für gemeinnützige Arbeiten einsetze. „Es kann nicht sein“, sagt Arnold, „dass ich den Flüchtlingen einen solchen Job nicht anbiete, weil sie schwarze Hautfarbe haben.“
Kommunalpolitiker suchen Lösung
Am Freitag traf sich der Oberbürgermeister noch einmal mit den zehn Kofferträgern, die nun keine Beschäftigung mehr haben. Zum Beispiel mit Christopher Igbinomwanhia aus Nigeria. „Ich war sehr enttäuscht, man will ja etwas tun für die Gemeinschaft, um anerkannt zu sein“, sagt der Flüchtling. Ähnlich sieht es Haron Khan, ein Taxifahrer aus Pakistan: „Es war eine gute Idee, und wir haben gern geholfen.“ In Schwäbisch Gmünd bieten sich in nächster Zeit viele Möglichkeiten, Flüchtlinge für gemeinnützige Arbeit zu beschäftigen: Im nächsten Jahr ist die Stauferstadt Austragungsort der Landesgartenschau. Außerdem sind gerade 38 Millionen Euro in den Stadtumbau investiert worden. Die Bundesstraße ist in einen Tunnel verlegt worden. Neue Parks sind geschaffen worden. Schwäbisch Gmünd ist eine freundliche Stadt - vor dem Rathaus gibt es einen Kinderspielplatz. Bis zur Eröffnung der Landesgartenschau muss noch viel geharkt und aufgeräumt werden. Arnold braucht nicht nur Gepäckträger am Bahnhof, zumal einige Flüchtlinge auch schon bei der Vorbereitung des Stadtjubiläums im vergangenen Jahr mitgeholfen haben.
Die Kommunalpolitiker haben nun an den Bahnvorstand geschrieben, sie schlagen vor, die Kofferträger künftig zum Tariflohn zu beschäftigen. Weil sie aber nur 1,05 Euro verdienen dürfen, könnte der Differenzbetrag vielleicht an eine Flüchtlingsorganisation gezahlt werden. „Das Pikante ist ja“, sagt Arnold, „ich bin von der CDU, der Landrat gehört der CDU an, und trotzdem sehen wir die Schwächen der Einwanderungspolitik. Das liegt daran, dass bei uns die Wirklichkeit zu Hause ist.“