Hetze gegen Lübcke : „Eine widerliche Ratte weniger“
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Widerstand gegen Hetze: Demonstranten im April in Magdeburg. Bild: ZB
Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hetzen Rechtsradikale gegen den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Seine Ermordung wird nun im Netz gefeiert.
Der Hass im Netz begleitete den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke schon länger. Im Oktober 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, geriet er ins Visier von Rechtsextremen. Jeden Monat strömten Zehntausende ins Land, die Stimmung war aufgeheizt. Landräte ließen Feldbetten in Turnhallen aufstellen, um die Flüchtlinge irgendwo unterzubringen, und leerstehende Baumärkte zu Unterkünften umfunktionieren. Politiker veranstalteten Bürgerversammlungen, um die drängendsten Fragen der Bevölkerung zu beantworten und den Menschen die Ängste zu nehmen.
Auch Walter Lübcke tat das, am 14. Oktober 2015 in der hessischen Gemeinde Lohfelden. Der Abend sollte die Bürger vor allem über eine neue Flüchtlingsunterkunft informieren. Doch Lübcke wurde immer wieder gestört durch Zwischenrufe. Unter die Zuhörer hatten sich Mitglieder von „Kagida“ gemischt, des Kasseler Ablegers von Pegida. Einige saßen in der ersten Reihe, wie etwa der Chef Michael Viehmann, den später ein Amtsgericht wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilte. Andere Mitglieder hatten sich im Publikum verteilt. Sie riefen „Scheiß Staat“ oder „Du armer Kerl“.
Eine folgenschwere Aussage
Das verleitete den Regierungspräsidenten zu einer folgenschweren Aussage. Nachdem er mehrfach unterbrochen worden war, sagte Lübcke zunächst, dass man in Deutschland für Werte eintreten müsse. „Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Sofort wurde Lübcke ausgebuht.
Später verteidigte der Politiker seine Aussagen in einem Interview mit der „Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen“. Er habe die Zwischenrufer an christliche Werte erinnern wollen und daran, dass sie im Gegensatz zu den meisten Flüchtlingen die Freiheit besäßen, ihre Heimat zu verlassen, sollten sie mit den dortigen Werten nicht einverstanden seien. Zwar stand der Regierungspräsident weiter in der Kritik, sie ebbte aber zumindest in Hessen und Lohfelden rasch ab.
Ein Video macht Karriere
Doch im Internet entfaltete sich nun erst der Hass. Das Video machte Karriere in rechtsradikalen und -extremen Zirkeln, und wurde noch im Februar dieses Jahres geteilt und kommentiert. Zunächst stellte ein Nutzer bei Youtube einen für Lübcke äußerst unvorteilhaften Ausschnitt der Bürgerversammlung ein. Zu hören ist in dem Video nur, wie der Regierungspräsident fordert, dass man ihn ausreden lassen solle. Dann folgt der Satz, man könne jederzeit auswandern. Von Zwischenrufen und Unterbrechungen keine Spur.
Diesen Ausschnitt griff der rechtsradikale Blog „Politically Incorrect“ auf. Darunter schrieb der Autor: „Sie sollten sich was schämen, Herr Lübcke!“ und „abgelegt unter Volksverräter“. In einem weiteren Eintrag veröffentlichte „Politically Incorrect“ Anschrift, Telefonnummer und die offizielle E-Mail-Adresse des Politikers. Die Leser schrieben hasserfüllte Kommentare darunter, nannten Lübcke „das Paradebeispiel eines Volksverräters“ und ergingen sich in Phantasien, er hätte aus dem Veranstaltungssaal „hinausgeprügelt werden müssen“.
Am darauffolgenden Tag griff die „Alternative für Deutschland“ Lübckes Aussagen auf ihrer Facebookseite auf. Dort schrieb die Partei: „Diese Hetze zeigt die unglaubliche Arroganz derer, die vom Steuergeld der Bürger leben und sich dann auch noch erdreisten, diese des eigenen Landes zu verweisen.“ Auch darunter ergoss sich der Hass. Doch nicht nur die AfD teilte Lübckes Aussagen. So verbreitete allein das ehemalige CDU-Mitglied Erika Steinbach das Video dreimal, zuletzt im Februar dieses Jahres. Jedes Mal wirkten ihre Einträge so, als handele es sich um eine aktuelle Wortmeldung von Lübcke.
„Eine widerliche Ratte weniger“
Am 18. Februar zum Beispiel schrieb Steinbach auf Twitter: „Zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen bevor sie ihre Heimat aufgeben!“ Der Blog, dessen Beitrag Steinbach teilte, ist inzwischen gelöscht, man kann ihn aber auf Archivseiten im Netz noch einsehen. Dort klingt es ebenfalls so, als seien Lübckes Aussagen gerade erst gefallen. Der Regierungspräsident habe „Kritikern der derzeitigen Asylpolitik geraten, Deutschland zu verlassen“. Unter dem Tweet der Politikern drohen Nutzer Lübcke und fordern andere auf, zur Tat zu schreiten. Steinbach selbst antwortete am Dienstag auf mehrfache Anfragen nicht. Viele Beiträge hat Twitter mittlerweile gelöscht.
Doch auch im Mai 2016 und 2017 stachelte Steinbach bei Facebook ihre Leser mit den Aussagen Lübckes auf. Und dort stehen die hasserfüllten Kommentare zahlreicher Nutzer noch immer. So wie auch unter Youtubevideos von der Originalrede Lübckes. Kurz nachdem er durch einen gezielten Kopfschuss ermordet worden war, schrieb dort jemand: „Eine widerliche Ratte weniger. Fehlen noch die anderen.“ Und ein anderer: „Das wird nicht der letzte sein. Der Krieg hat begonnen.“