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Fall Sami A. : Kubicki sieht „unglaubliches Versagen“ von Seehofer

  • Aktualisiert am

In der Kritik: Innenminister Horst Seehofer (CSU) Bild: AFP

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Kubicki macht dem Bundesinnenminister im Fall Sami A. schwere Vorwürfe. Auch in Nordrhein-Westfalen wächst die Kritik am Vorgehen der Behörden – Ministerpräsident Laschet weist das zurück.

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          Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki hat Bundesinnenminister Horst Seehofer „unglaubliches Versagen“ im Fall Sami A. vorgeworfen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) – und damit der Innenminister – habe es bis heute versäumt, die vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geforderte Verbalnote herbeizuschaffen, „wonach garantiert wird, dass Sami A. in tunesischen Gefängnissen nicht gefoltert wird“, sagte Kubicki der Deutschen Presseagentur. Er reagierte damit auf die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts vom Mittwoch, dass der nach Tunesien abgeschobene Islamist nach Deutschland zurückzuholen sei. Das Verwaltungsgericht habe ja darauf hingewiesen, dass, wenn die entsprechende Verbalnote vorgelegen hätte, „die Entscheidung pro Ausreisepflicht und deren Vollzug getroffen worden wäre“, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende.

          „Die Tatsache, dass das OVG Münster bestätigt hat, dass die Abschiebung rechtswidrig war und Sami A. nach Deutschland zurückgeholt werden muss, ist menschlich ein Tragödie, weil es für viele Beteiligte sinnvoller wäre, er bliebe in Tunesien. Juristisch ist es aber konsequent und nachvollziehbar“, sagte Kubicki. Den gravierenden Fehler des Bamf und des Innenministeriums müssten jetzt die Stadt Bochum und das Land Nordrhein-Westfalen ausbaden. „Aber in einem Rechtsstaat entscheiden in letzter Konsequenz Gerichte und Behörden, und auch alle anderen haben diese Entscheidungen zu befolgen.“ Insofern müsse jetzt alles unternommen werden, um Sami A. nach Deutschland zurückzuholen.

          Auf die Frage, ob der Fall der AfD nütze, antwortete Kubicki: „Das kann wieder Wasser auf die Mühlen der AfD sein, aber nur weil die demokratischen Institutionen sich in diesem Fall falsch verhalten haben. Es gibt rechtlich wirklich viele Möglichkeiten zum Ziel zu kommen, nur dass die in diesem Fall nicht ausgeschöpft worden sind.“

          Laschet: Stamp hat „nach Recht und Gesetz“ entschieden

          Der nordrhein-westfälische Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) hat die Landesregierung unterdessen zu einer Entschuldigung auf. Joachim Stamp (FDP), NRW-Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, habe „ganz bewusst“ versucht, die Justiz zu täuschen, kritisierte Kutschaty am Donnerstag im Deutschlandfunk. Dies sei ein „gehöriger Skandal“. Kutschaty rief den FDP-Politiker auf, sich zu entschuldigen. Das gelte auch für Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). In dem Fall Sami A. sei erheblicher politischer Druck ausgeübt worden, um eine Abschiebung des als islamistischer Gefährder eingestuften Tunesiers in sein Heimatland zu erreichen, sagte der SPD-Politiker. „Man darf auf jeden Fall nicht als Politiker die Gerichte versuchen auszutricksen und versuchen, Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen“, sagte Kutschaty. Wenn ein Minister die Justiz bewusst täusche, „muss er auch die Konsequenzen tragen, sein Handeln überdenken und die Verantwortung übernehmen“.

          Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) stellte sich hingegen vor Stamp. Nach seiner Auffassung habe der Minister „nach Recht und Gesetz“ entschieden, sagte Laschet am Donnerstag im Deutschlandfunk. Stamp habe in einem Moment entschieden, als ihm das entsprechende Gerichtsurteil noch nicht bekannt gewesen sei. Er werde sich dazu erklären, sobald das Urteil analysiert sei, sagte Laschet. Er sprach von „parteipolitischen Spielen“. „Hier geht es um einen seit elf Jahren ausreisepflichtigen Gefährder, einen Mann, der auf der Topliste der Gefährder der Bundesrepublik Deutschland steht.“ Zugleich stellte er klar, dass die Landesregierung die Entscheidung des Gerichts einhalten werde.

          Trotzdem erhebt auch die Präsidentin des NRW-Oberverwaltungsgerichts schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Selbst von ranghohen Politikern sei erheblicher öffentlicher Druck aufgebaut worden, den Gefährder endlich abzuschieben, sagte Ricarda Brandts im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Für einen stabilen Rechtsstaat sei die Unabhängigkeit der Gerichte entscheidend. Brandts wirft den Behörden zudem vor, mit „halben Wahrheiten“ gearbeitet zu haben.

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