
Evangelische Kirche : Die EKD unter Schneider
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Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider Bild: dpa
Das neue Familienpapier liest sich wie ein Kompendium des Linksprotestantismus der frühen siebziger Jahre. Das ist nur ein Symptom: Die evangelische Kirche entwickelt sich zurück.
In solchen Turbulenzen war die evangelische Kirche schon lange Zeit nicht mehr. Der Rücktritt von Margot Käßmann im Februar 2010 entfachte zwar kurzfristig einigen Wirbel. Der Ärger verflog allerdings auch schnell wieder, weil es sich um den Fehltritt einer Person handelte. Das ist bei dem derzeitigen Streit über die neue EKD-Orientierungshilfe zu Ehe und Familie anders.
Es sind nicht nur pietistisch-evangelikale oder katholische Kreise, die gegen das Papier protestieren. Die Kritik an der EKD kommt auch von konservativ-liberaler Seite. Dieses Kernmilieu vieler Gemeinden hatte sich eigentlich schon lange abgefunden mit den bestehenden Zuständen: Unausgegorene Stellungnahmen von Synoden nimmt man dort ebenso gelassen hin wie liturgische Tänze im Gottesdienst oder dass man hin und wieder einen Gedanken auf einen Zettel schreiben muss, den der Pfarrer dann in einem Bastkörbchen einsammeln lässt. All das ist mit Heiterkeit zu ertragen.
Ein klarer biblischer Befund
Ernster wird es jedoch, wenn die Kirche den Eindruck vermittelt, schlampig mit ihrer religiösen Substanz umzugehen. Genau das tut die EKD in ihrem Familienpapier. Man mag zu den dort verhandelten Themen stehen wie man will. Aber Homosexualität wird in der Bibel nicht mal so und mal anders bewertet, wie das Papier nahelegt, sondern durchweg negativ. Das mag der damaligen Zeit geschuldet sein, und im Lichte des Evangeliums muss man es deshalb mit guten Gründen nicht für bindend halten. Ein klarer biblischer Befund bleibt es dennoch.
Zu nachlässig wird auch mit der Auffassung Luthers zur Ehe umgegangen, die in vielen Landeskirchen immerhin den Rang eines Bekenntnisses hat. Luther sah in der Ehe den höchsten, ja göttlich gestifteten Stand. Wenn die EKD das nun anders sieht, müsste sie dies ausführlich begründen. Doch selbst im Nachhinein geschieht das nicht.
Geringschätzung Luthers
Im Gegenteil, der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider verteidigt die Orientierungshilfe trotz offenkundiger Mängel gegen jede Kritik. Schon in seinem Vorwort hatte Schneider sich Intention und Duktus des Papiers zu eigen gemacht, das sich zwar als Weisung für das 21. Jahrhundert versteht, sich aber in Teilen liest wie ein Kompendium des Linksprotestantismus der frühen siebziger Jahre.
Als da wären: Geringschätzung Luthers und der Bekenntnisschriften; Unverständnis für ökonomische Zwänge; stattdessen weitreichende Forderungen nach staatlicher Ausgabensteigerung; auffällige Hochschätzung sozialistischer Politikmodelle (im vorliegenden Fall: die Familienpolitik der SED), einhergehend mit einer Abwertung alles „Bürgerlichen“; schließlich: die Schwächung starker Institutionen (zum Beispiel der Ehe) zugunsten informeller Strukturen.
Älteren Semestern in der EKD galten solche Ansichten zu Studentenzeiten einmal als der letzte Schrei. Abends beim Bierchen wird bis heute davon geschwärmt. Für viele ist das Nostalgie. Für Nikolaus Schneider aber ist es bis heute prägend. Im Unterschied zu Wolfgang Huber, der einst der Großmeister dieser Denkungsart war, hat sich sein Nachfolger Schneider nicht von ihr gelöst und angefangen, auf neue Fragen neue Antworten zu suchen. In Porträts über Schneider, wenn sie sich nicht gerade in der Beschreibung Schneiders als jovialem, leutseligem Kumpeltyp erschöpfen, wird dieser Umstand gerne als Geradlinigkeit beschrieben. Man kann es auch Unbeirrbarkeit nennen.
Die Fehler häufen sich
Als Schneider im Januar sein Amt als Präses im Rheinland abgab, sah sich seine Landeskirche mit einem Finanzskandal konfrontiert, bei dem über zwanzig Millionen Euro Kirchensteuern in einem kircheneigenen Unternehmen auf zum Teil betrügerische Weise verbrannt wurden, sowie einer völlig aus dem Ruder laufenden Finanzreform.
Eine Kommission schlug daraufhin eine Reform der an der Barmer Theologischen Erklärung ausgerichteten rheinischen Kirchenverfassung vor, die statt eine klare Gewaltenteilung vorzuschreiben informelle Strukturen begünstigt und Kontrolle erschwert. Schneider erwiderte, trotz allem bleibe er „ein theologischer Fan“ der bisherigen Verfassung.
Nun häufen sich auch auf EKD-Ebene Fehler: Das Familienpapier erhielten die katholische Kirche und kircheneigene Medien Wochen vor der Veröffentlichung. Die evangelischen Landesbischöfe bekamen die 160 Seiten erst einen Tag vor der Vorstellung des Papiers. Gegen den Bevollmächtigten in Berlin eröffnete der EKD-Rat unter Schneiders Führung ein Disziplinarverfahren - was sich rasch als die denkbar beste Grundlage für Durchstechereien an eine Boulevardzeitung erwies. Der Mann war erledigt.
Die Kritik am EKD-Rat und seinem Vorsitzenden wird lauter. Das große Vorhaben, das Reformationsjubiläum 2017 mit einer umfassenden Reform der Kirche zu verbinden, die sich wieder auf ihre religiöse Substanz konzentriert und überdehnte Strukturen strafft, ist längst aus den Augen verloren worden. Die große Frage, welche Gestalt die evangelische Kirche der Zukunft haben soll, bleibt unbeantwortet liegen. Die EKD ist wieder dort angekommen, wo sie vor Wolfgang Huber stand. Die Mängel des Familienpapiers sind nur ein Symptom dieses Rückschritts.