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Elektronische Fußfesseln : Ein virtuelles Gefängnis

„Erhebliche Einschränkungen“ – die große Fußfessel Bild: Marcus Kaufhold

Etwa siebzig ehemalige Häftlinge tragen in Deutschland die elektronische Fußfessel. Ein Besuch in der Überwachungsstelle der Länder in Bad Vilbel.

          8 Min.

          Die Kaffeetasse wandert in Richtung der Plastikschachtel mit den Tomaten. Bis ein Teil der Tasse und ein Teil der Tomatenschachtel sich überschneiden. Das Ganze passiert auf einem schlichten hölzernen Küchentisch, der in der vielbenutzten Küche eines Bürogebäudes im hessischen Bad Vilbel steht. An der Seitenwand türmen sich Schachteln mit Teebeuteln unterschiedlichster Sorten, als seien Vorräte für ein Jahr angelegt worden.

          Eckart Lohse
          Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin.

          Die Kaffeetasse soll einen aus der Haft entlassenen Straftäter darstellen, der eine elektronische Fußfessel am Bein trägt. Die Packung Tomaten symbolisiert die Stadt Frankfurt am Main. Die Tasse wird von Hans-Dieter Amthor bewegt, dem Leiter jener Behörde, die über die Träger solcher Fußfesseln wacht. Würde es sich nicht um Geschirr und Lebensmittel handeln, sondern wirklich um einen verurteilten Straftäter und um die Frankfurter Stadtgrenze, dann würde zwei Räume weiter jetzt ein Alarm ausgelöst. Denn dem Mann war in Amthors Kaffeetassenspiel untersagt worden, Frankfurt zu betreten, weil er in der Haft immer wieder gedroht hatte, er werde seine dort lebende Ehefrau erschlagen, sobald er entlassen worden sei.

          Das ist das Prinzip der sogenannten Elektronischen Aufenthaltsüberwachung, kurz: EAÜ. Verurteilten Verbrechern, die auch nach Verbüßung ihrer Haft als gefährlich gelten, wird gesagt, wo sie sich aufhalten dürfen und wo nicht. Verstoßen sie gegen diese Auflagen, wird das den Mitarbeitern in dem Büro neben der Küche in Sekundenschnelle gemeldet. Die wiederum rufen sofort bei dem Träger der Fessel an – meistens sind das Männer – oder gleich bei der Polizei.

          Gut siebzig ehemalige Häftlinge, oft Mörder, Totschläger oder Vergewaltiger, jedenfalls Menschen, die etwas getan haben, für das sie mindestens drei Jahre hinter Gitter mussten, werden derzeit in Deutschland von Bad Vilbel aus überwacht, einer Kleinstadt nahe Frankfurt, die überregional wegen ihrer Mineralquellen bekannt ist. Die Küche lässt schon ahnen, dass das nicht in einem unterirdischen Hochsicherheitstrakt stattfindet.

          Am eigenen Leib ausprobiert

          Nein, die Schreibtische und Bildschirme der Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder, der GÜL, stehen im einstigen Wohnzimmer einer ehemaligen Hausmeisterwohnung. Früher war in dem Bürogebäude, das heute wohl keine Chance hätte, auch nur einen Trostpreis bei einem Architekturwettbewerb zu gewinnen, das Amtsgericht Bad Vilbel untergebracht. Im Januar 2012 zog die IT-Stelle der hessischen Justiz ein, und die GÜL bekam die Hausmeisterwohnung.

          In der elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) in Bad Vilbel. Das Herzstück der Einrichtung ist tatsächlich nur dieser kleine Raum.
          In der elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) in Bad Vilbel. Das Herzstück der Einrichtung ist tatsächlich nur dieser kleine Raum. : Bild: Marcus Kaufhold

          Durch einen kleinen Garten, der an die Grundstücke benachbarter Wohnhäuser grenzt, und durch eine Terrassentür gelangt man in das Reich von Hans-Dieter Amthor. Der Leiter der GÜL trägt Lederjacke, T-Shirt und Jeans und sieht so gar nicht nach Behördenleiter aus. Amthor hat lange als Bewährungshelfer gearbeitet, weiß also nicht nur über die Lebensläufe von Kriminellen viel, sondern auch über deren Tagesabläufe.

          Wenn sich in Deutschland einer auskennt mit elektronischen Fußfesseln, dann ist es Amthor. Fast überflüssig zu sagen, dass er schon am eigenen Leib für eine Weile ausprobiert hat, wie es sich mit einem solchen Gerät lebt, wie mühselig es ist, täglich an die Ladezeiten zu denken, wo es scheuert und wie sehr es beim Sporttreiben stört.

          Die meisten halten sich an die Weisungen

          In dem Büro, in das man durch die Terrassentür gelangt, sitzen rund um die Uhr, sieben Tage die Woche zwei der 16 Mitarbeiter von Amthor, Männer wie Frauen. Ihre Schichten dauern zwölf Stunden, die Schichtwechsel finden um eine Stunde versetzt statt, damit nie ein Moment entsteht, in dem auch nur ein paar Minuten die Monitore nicht beobachtet werden. In der Ecke stehen zwei Fitnessgeräte, deren Nutzung die gleichzeitige Beobachtung der Bildschirme zulässt. So kann man sich wachhalten, falls in der Nachtschicht mal die Müdigkeit droht.

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