„Eine Zeitbombe“ : IOM warnt vor Abschiebungen nach Afghanistan
- -Aktualisiert am
Abgelehnte Asylbewerber im Februar 2015 am Baden-Airport in Rheinmünster (Baden-Württemberg) Bild: dpa
Aus Deutschland abgeschobene Afghanen könnten in ihrer Heimat leichte Beute für kriminelle Netzwerke oder Aufständische werden, fürchtet die Internationale Organisation für Migration.
Der Landesdirektor der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Laurence Hart, hat davor gewarnt, dass aus Deutschland abgeschobene Afghanen in ihrem Heimatland in die Fänge krimineller Netzwerke oder der Aufständischen geraten könnten. Im Gegensatz zu freiwilligen Rückkehrern könnten sich die Abgeschobenen nicht im gleichen Maße vorab über die Sicherheitslage und die wirtschaftliche Lage in ihrer Heimatprovinz informieren, sagte Hart am Mittwoch im Gespräch mit der F.A.Z. „Diese Leute könnten Elementen zum Opfer fallen, die sie in die Kriminalität treiben oder als Aufständische rekrutieren.“

Politische Korrespondentin für Ostasien.
Hart verwies darauf, dass die Zahl der freiwilligen afghanischen Rückkehrer aus Deutschland sich im vergangenen Jahr mehr als verzehnfacht habe – sie stieg nach IOM-Angaben von 308 auf 3159 Personen. Auch die Zahl der freiwillig zurückkehrenden Familien sei von 22 im Jahr 2015 auf 356 im vergangenen Jahr rasant gestiegen. „Ich würde verstehen, dass es notwendig ist Druck aufzubauen, wenn niemand das Angebot zur freiwilligen Rückkehr annehmen würde, aber tatsächlich nehmen die Zahlen von Monat zu Monat zu.“
Auf die Frage, ob es in Afghanistan sichere Orte für freiwillige Rückkehrer gebe, sagte Hart, die größte Zahl der Rückkehrer entscheide sich für die Stadt Herat. Dies liege offenbar daran, dass viele der Rückkehrer vor ihrer Migration nach Europa in Iran gelebt hätten. „Einige nutzen Herat offenbar als Ausgangspunkt, um nach Iran zurückzukehren.“ Daneben seien die Großstädte Kabul und Mazar-i-Sharif sowie die Provinz Nangarhar die am häufigsten gewählten Ziele für Rückkehrer.
Auf die Frage, ob die Darstellung der Bundesregierung, in Afghanistan gebe es sichere Orte, zutreffend sei, sagte Hart, es gebe dazu keine unabhängige Analyse, unterschiedliche Länder kämen zu unterschiedlichen Ergebnissen. „Der Begriff der Sicherheit ist sehr individuell, deshalb wird der Flüchtlingsstatus in einem individualisierten Prozess festgestellt. Nur weil jemand aus Kandahar kommt, heißt das nicht automatisch, dass er ein Flüchtling ist. Vielleicht ist er in einer recht guten Lage, während andere Leute dort verfolgt werden.“
Hart: Abschiebungen verschärfen „dramatische Situation“ weiter
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte auf Bitten der Bundesländer eine aktuelle Einschätzung der IOM angefordert. Diese habe, so hieß es in einem Brief des Bundesministers an die Innenminister und -senatoren der Länder, ergeben, dass sich die IOM für die Einschätzung der Sicherheitslage auf Analysen von Regierungsorganisationen stütze.
Hart warnte davor, dass Abschiebungen aus Deutschland eine ohnehin „dramatische Situation“ in Afghanistan weiter verschärften. „Die Kapazität des Landes, der Regierung und humanitärer Organisationen, Rückkehrer zu reintegrieren, ist ausgeschöpft“, sagte Hart mit Blick auf mehr als 740.000 Migranten ohne Dokumente, die im vergangenen Jahr aus den Nachbarländern Pakistan und Iran auf Druck der dortigen Behörden zurückgekehrt sind. „Die Zahlen der Rückkehrer aus Europa sind zwar vergleichsweise gering, aber sie wirken sich auf eine schon jetzt volatile Lage aus.“ Zusammengenommen seien die Rückkehrer eine „Zeitbombe“.